Mordreds Tales – Die Tanzkarte
Vorwort

Es ist die Aufgabe einer Muse, den Künstler zu befruchten. In kreativer Hinsicht natürlich. Meine Muse und ich sprechen über viele Dinge und nicht selten ergibt sich hieraus die kreative Befruchtung.

Doch kommt es von Zeit zu Zeit etwas anders und es begab sich, dass meine Muse einst durch mich befruchtet wurde und mir einen Text schickte. Als ich diesen Text las, bemächtigte sich Begeisterung meiner, doch fühlte ich auch, es fehle etwas an diesem Text. Ich suchte also, was es wäre, nur um zu sehen, dass es nicht die eine Sache gibt, die den Text vollständig macht. Es gibt viele Wege, die Zeilen meiner Muse zum Schluss zu bringen.

Und so geschah es, dass die Muse und ich beschlossen, die Gänze der Geschichte in allen möglichen Formen herzustellen, die uns in den Sinn kommen. Es sind die verschiedensten Geschichten. Geschichten von einfachen Menschen, die Chancen verpassten. Geschichten von Menschen, die überhaupt nichts mit der Angelegenheit zu tun hatten, aber durch sie erst ihr eigenes Leben verstanden.

Nun denn, liebe Leser, nehmt Euch etwas Zeit und lest. Lest die Geschichten des Roman Dreyer. Lest von der Tanzkarte, von dem, was vor dem Ball geschah, davon, was nach dem Ball geschah. Lest und beantwortet Euch die Frage, ob Ihr vielleicht Roman Dreyer seid.
M
Der Engel in Samt

Ihre Tanzkarte aus Perlmutt war leer,
bis ich ihr meinen Namen schrieb.
Doch zum Tanze kam ’s nicht mehr.
Ihr Bild ist alles, was mir blieb.

Mein Herz glich einem Glockenspiel,
als ich frivol sie nippen sah
am Sektglas mit dem langen Stiel.
Doch der Schnitter war schon da.

Schlafend lag sie auf der Terrasse
wie ein Engel im samt’nen Kleid.
Neugierig umgab sie die Menschenmasse,
doch sie starb in Einsamkeit.
Prolog

Ich muss erst dieses Geheimnis lüften, dann erst, dann kann meine Zukunft beginnen.

Ich bemerkte sie nicht.
Hab mir mein Gehirn deswegen zermatert. Ich bemerkte sie einfach nicht.
Erst als es zu spät war.

Jetzt haben wir beide keine Zukunft mehr.
Sie nicht, und ich erst recht nicht.

Sie lag da, auf der Seeterrasse. Sie sah aus wie ein schlafender Engel in ihrem
Ballkleid aus zartem, glänzenden Organza, es war aufwändig bestickt, drapiert.
Es hatte eine Corsagenschnürung im Rücken. Creme. Creme nennt man die Farbe des
Kleides wohl, aber als Mann weiß man das nicht so genau.

Ein Engel, ein Engel, der schläft.

Aber keine Frau die ich kenne, legt sich freiwillig mit so einem Kleid auf die
Seeterrasse. Keine Frau.

Ich lief zu ihr hin, ich sprach sie an, ich nahm ihre Hand, ich tätschelte ihre Wange.
Aber der Engel wollte nur schlafen.

Neben ihr lag eine Tanzkarte. Eine Tanzkarte aus Perlmutt.
So etwas gab es damals in Holland, um 1890......, damals auf der Seeterrasse wußte ich das natürlich noch nicht.

Dieser wunderschöne Engel hatte nur einen einzigen Eintrag in seiner Tanzkarte. Das beruhigte mich irgendwie, auf eine seltsame Arte und Weise beruhigte es mich. War ich doch nicht der einzige Trottel, der diese Frau vorher nicht bemerkte. Den Namen des Herrn konnte ich in der Aufregung nicht entziffern, war er doch in einer alten Schrift geschrieben. Sütterlin. Ich weiß es nicht, als moderner Mann weiß man das nicht so genau.

Dann wurde ich weggestoßen, jemand rief: "Gehen Sie zur Seite, ich bin Arzt!" Es kamen immer mehr Menschen aus dem Ballsaal auf die Seeterrasse hinaus. Immer mehr. Ich wünschte, dieser Engel hätte zu Lebzeiten diese Aufmerksamkeit gehabt. Dann würde sie jetzt vielleicht nicht schlafen, in ihrem Kleid, aus Organza, in creme, auf dieser verdammten Seeterrasse. Mondlicht, Mondlicht stand ihr gut.

Jemand kam und legte eine wärmende Decke um meine Schultern.

"Ihre Begleiterin ist tot. Wir haben alles, wirklich alles versucht, sie ist tot. Es tut uns so leid."

Ich weinte um eine Frau, die ich nicht kenne. Die ich nicht einmal bemerkte, obwohl ich bereits seit 5 Stunden Gast auf diesem Ball war.

Man gab mir die Tanzkarte des Engels. Ich sah sie mir genauer an und habe den einzigen Namen gelesen auf dieser Karte.

Roman Dreyer. Roman Dreyer stand auf der Karte.

Ich bin Roman Dreyer.
Nein, ich war Roman Dreyer.

Ich bin mit ihr gestorben, ich muss erst das Geheimnis lüften um diesen Engel. Erst dann beginnt meine Zukunft.

Mein Anwalt konnte alles für mich klären. Ich kannte diese Frau nicht. Nie vorher habe ich sie gesehen.
Wie mein Name auf ihrer Tanzkarte kam, weiß ich nicht.

***


Ich habe Dich bei meinem Namen gerufen, Du bist mein. Jes. 43.1.

Ich hatte die Anzeige in der Tageszeitung gelesen. Viele Wochen später.

Zur Erinnerung an die Verstorbenen in unserer Stadt, für die es keine Trauerfeier gab, feiern wir einen ökumenischen Gottesdienst.

Wir laden herzlich ein, daran teilzunehmen.


42 Namen von Verstorbenen waren zu lesen.
Menschen, die niemand vermißt.

Mein Engel in Organza stand auch auf dieser Liste. Sie war die einzig Namenlose. Alle anderen hatten wenigstens einen Namen.

Sie war die

unbekannte Frau, ca. 30 Jahre alt.

Es war das erstemal, dass ich einen Trauergottesdienst besuchte.

Ich war Roman Dreyer.
Aber als Mann, weiß man das nicht so genau.

Ich muss erst das Geheimnis lüften, dann kann meine Zukunft beginnen.

Ich bemerkte sie nicht.
Ich habe Augen und kann nicht sehen.
Ich habe Ohren und kann nichts hören.

Erst als Stille war, und alles Licht erloschen ist, liebte ich.

Komm noch einmal zu mir zurück, mein Engel.
Ich bin Dein Mann, und ich weiß es jetzt.
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M
M
Die Tänze

Rumba
Salsa
Tango argentino
Walzer
Foxtrott
Blues
Cha Cha Cha
Tango se pregunta
Sarabande el lobo
Tango para el Año nuevo
Adventsball
Hallo
M
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