DIE GÖTTER

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Die Geburtstagsparty

Es war der 24. Dezember 2029. Oder er wird es gewesen sein, kommt darauf an, wann ihr diese Geschichte lest. Es war wie jedes Jahr die Zeit, in der sich Junior rarmachte. Er arbeitete – mein Junge betreibt eine der besten Spielzeugmanufakturen an der australischen Westküste – bis tief in die Nacht, wanderte tagelang durch die Berge Norwegens, fuhr zum Wassertreten an den See Genezareth, saß an jedem 24. Dezember mit verschränkten Beinen auf dem Gipfel des Qomolangma und meditierte, kurz: Junior tat alles, um nicht zuhause zu sein.

Ich fragte den Jungen einmal, warum er jedes Jahr ausgerechnet im Dezember so lange arbeitet und nach 16 Stunden Arbeit noch den weiten Weg nach Israel oder Norwegen auf sich nimmt. Er wolle nicht tagsüber dorthin, um Autogrammjägern aus dem Weg zu gehen, war die Antwort. Als würde ihm noch jemand glauben, dass er ist, wer er zu sein behauptet. Mein Junge könnte am Flughafen einen gültigen Reisepass mit seinem Namen vorlegen und den Automatenkaffee des kontrollierenden Beamten in handgebrühten Espresso verwandeln und trotzdem würde ihm niemand glauben.

Junior arbeitete also seit fast 2000 Jahren jedes Jahr im Dezember bis zum Umfallen. Oft tat er dies bis weit in den Januar hinein. Jeschua (ja, das ist sein richtiger Name) behauptete immer, er täte es für die Kinder. Wir glaubten ihm, denn mein Junge mag Kinder. „Sie sind die Innocentia in persona“, war die Antwort, wenn man ihn fragte, was für ihn an den Kindern so besonders sei. Junior liebt alte Sprachen. Er meint, sie ließen profane Dinge viel weiser klingen, ließen oft die Weisheit des Profanen erst erkennen.

Trotz allem machten wir uns Sorgen. Er könnte die Spielzeugproduktion für die Kinder auch über das Jahr verteilen. Er könnte Leute einstellen, die ihm unter die Arme griffen. Und doch passierte in jedem verdammten Dezember dasselbe. Maria und ich waren uns einig, dass in Juniors Verhalten ein Muster zu erkennen sei. Etwas schien ihn zu bedrücken. Maria bemerkte das zuerst. Mütter wissen solche Dinge immer vor allen anderen. „Wahrscheinlich hat er Angst vorm Älterwerden“, eröffnete sie mir bei einer Tasse Kaffee in einem Pariser Bistro. „War bei Josef auch so. Wir sollten ihm zeigen, dass das nicht schlimm ist. Lass uns…“

„Du meinst, Jeschua hat 'ne Midlife Crisis?“, fragte ich.

„So könnte man es ausdrücken“, antwortete Maria nach einem kurzen Augenblick. „So könnte man es ausdrücken.

Ich gestehe an dieser Stelle öffentlich, dass mir ein solcher Gedanke nie gekommen wäre. Das ist der Fluch der Zeitlosigkeit. Wir Götter altern einfach nicht. Junior altert natürlich auch nicht. Nicht mehr jedenfalls. Aber er ist eben zur Hälfte Mensch und hängt vielleicht einfach in alten Mustern von Alter und Sterblichkeit fest.

„Ich trommle die Damen und Herren aller göttlichen Gefilde zusammen“, rief ich Maria zu, schon halb aus der dem Lokal verschwunden. „Überraschungsparty bei Junior, 24. Dezember, Mitternacht!“

Das alles passierte im August. Monate der Vorbereitung kamen und gingen und das Schwierigste war, die „Mission Geburtstag“ vor Junior geheim zu halten. Der Dezember kam und mein Sohn verfiel in seine übliche eigenbrötlerische Stimmung. Er zog sich wie jedes Jahr zurück, was uns die Geheimhaltung erleichterte. Nur einmal schien er Verdacht geschöpft zu haben.

„Papa“, fragte mein Junge am zweiten Advent, als die Familie bei Tee und Gebäck zusammensaß, „Du hast dieses Jahr gar nicht gefragt, ob alles in Ordnung ist. Ist irgendwas los?“

Beinahe verschluckte ich mich an meinem Tee. Maria biss hastig von einem Keks ab und kaute besonders sorgsam, um nicht aus Versehen etwas auszuplaudern. Josef unterdrückte ein Lächeln und lehnte sich zurück.

„Was meinst Du?“, fragte ich zurück.

„Du stellst mir jedes Jahr um diese Zeit dieselbe Frage, Papa“, erklärte Junior. „Warum ich mich zurückziehe, kaum mit jemandem rede, lange arbeite und so. Du hast das dieses Jahr noch mit keiner Silbe erwähnt. Das fällt auf.“

Junior ist doch ein kluges Kind. Wirklich aufmerksam. Aber sonst hätte er auch die Sache mit dem Messias nicht durchziehen können.

„Und Du würdest mir ohnehin wieder nicht antworten, Sohn“, gab ich hastig zurück. „Warum eine Frage stellen, von der ich weiß, dass ich keine adäquate Antwort erhalte?“

Junior nickte lächelnd und damit war die Angelegenheit erledigt.

Es war also der 24. Dezember 2029. Oder er wird es gewesen sein – abhängig davon, wann ihr die Geschichte lest. So ziemlich alle waren gekommen. Hera, Zeus, Athene, Aphrodite, Thor, Frigga, Buddha, Hades, Hel, Maria, Josef – wir alle hockten im Dunkeln in Juniors Bude und starrten auf die Leuchtzeiger seines alten Weckers. Noch zehn Sekunden, neun, acht, sieben…

Die Uhr schlug Mitternacht. Die Glocken des Petersdoms läuteten den 25. Dezember ein und ein Schlüssel drehte sich im Schlosse der Wohnungstür.

Im Wohnzimmer war es mucksmäuschenstill. Wir hörten, wie Sandalen geräuschvoll auf den Boden fielen. Ein leises Klimpern verriet, dass mein Junge seinen Heiligenschein an den Garderobenhaken hing. Schlurfende Schritte näherten sich dem Zimmer und bogen kurz vorher ab. Plätschern erreichte unsere Ohren, dann ein lautes Rauschen. Ja, auch mein Junge muss gelegentlich aufs Klo.

„Jetzt aber!“, dachten wir im Chor. Falsch gedacht. Das nächste Geräusch war das einer Kaffeemühle. Minuten später zog der Duft frisch gebrühten kolumbianischen Hochlandkaffees durch die Wohnung.

Ein leises Quietschen näherte sich dem Wohnzimmer. Endlich! Das Licht ging an.

„ÜBERRASCHUNG!!!!!!!!!“, riefen Götter und unsterblich gewordene Menschen.

Es war eine Kakophonie der unterschiedlichsten Sprachen. Die Griechen riefen auf Griechisch, Maria und Josef auf Aramäisch, die Wikinger auf Norwegisch…

Junior liebt das Lateinische. Ich weiß nicht genau, warum, aber er liebt das Lateinische. Also befleißigte ich mich dieser Sprache und die Anderen hielten Schilder mit lateinischen Untertiteln hoch.

Mein Junge zuckte zusammen. Wenn jemand derart überrascht wird, zuckt er einfach zusammen. Das gehört zu Überraschungen einfach dazu. Wir Götter gaben euch Menschen diesen Reflex nicht ohne Grund und Junior ist nun mal ein Mensch. Wir johlten lauthals ob der geglückten Überraschung. Nur Maria lächelte leise und zeigte auf den kleinen Wagen mit Kaffee und Torte, den Jesus vor sich herschob. Verflixt! Er hatte doch Wind von der Party bekommen. Aber das machte nichts. Wir taten, als hätten wir ihn überrascht.

„Happy Birthday to You! Happy Birthday to You!“

Als wir Junior das Ständchen darbrachten, schien ein germanischer Chor auf Raubzug im Zimmer zu sein. Mein Junge freute sich trotzdem und umarmte Jede und Jeden, angefangen bei seinen menschlichen Eltern bis hin zum Grünen Mann aus Wales.

„Isa, mein Freund!“, schallte es aus einer Ecke des Zimmers. „Alles Gute zum Geburtstag! Hast Dich gut gehalten für einen 2029jährigen!“

Junior lachte.

„Mohammed, mein Guter! Schön, Dich zu sehen.“

Die Jungs umarmten sich besonders inniglich. Wie alte Kameraden, die besonders viel zusammen durchgemacht haben.

„Wie erklärst Du Deinen Leuten eigentlich, dass Du Weihnachten feierst?“, fragte Junior kichernd. „Könnte etwas Unverständnis hervorrufen.“

Mohammed fiel nicht darauf rein.

„Ich feiere nicht Weihnachten, ich feiere den Geburtstag meines Vorgängers. Daran ist nichts falsch.“

Junior hob die Hand.

„Weise wie immer, Bro. Komm, das ist einen High Five wert!“

***

Der Nacht verging. Der Tag ebenso. Wir aßen zu nächtlicher Stunde Torte, bestellten am Mittag Pizza für alle, kurz: Wir hatten eine tolle Zeit.

Selbst die Nachbarn, die sich zu nächtlicher Stunde eigentlich über den Lärm beschweren wollten, hatten Spaß. Die Wohnung wurde von blinkenden Lichterketten erhellt, die Zeus und Hera mitgebracht hatten. Die Jüngeren unter den Anwesenden vertrieben sich die Zeit an der brandneuen X-Box 8000 – ein Geschenk von Buddha. Man sollte stets ein bisschen Spaß haben. Einzig Antonio, der Junge aus der Nachbarwohnung bevorzugte seine alte Wii, die er extra aus seinem Zimmer holte. Antonio fand, die Spiele seien familiengerechter. Er hatte recht. Und so blieb die X-Box schließlich stehen und wir spielten nach dem Mittagessen alle gemeinsam Mario Party. Ich pimpte das Spiel noch ein wenig, damit alle mitspielen durften.

In etwa gegen vier klingelte es. Junior blickte vom Videospiel auf, erstaunt und tatsächlich überrascht, wer jetzt noch käme.

„Erwachet!“, tönten drei Stimmen durch den Hausflur, als mein Junge die Tür öffnete.

„Papa, für Dich!“

Etwas perplex, wer mich denn in der Wohnung meines Filius' besuchen wollte, drängte ich mich aus dem Wohnzimmer und eilte zum Eingang. Drei Männer standen vor der Wohnung.

„Wir möchten gerne mit Ihnen über Gott reden“, sagten die Ankömmlinge im Chor.

„OK, was wollt ihr wissen?“

Die Männer sahen mich an, sahen sich an, wandten sich wieder mir zu. Dann dämmerte es.

„Caspar, Balthi, Melchi!“

Junior winkte die drei Weisen rein.

„Lasst die Botten an, Jungs! Ich sauge übermorgen in Ruhe. Einen Teppich habe ich sowieso nicht.“

Caspar, Balthazar und Melchior betraten die Wohnung und zogen einen großen Schrankkoffer hinter sich her.

„Was’n das?“, wunderte sich mein Junge.

„Yo, Mann“, rief Melchior, „wir haben Dir was mitgebracht. Wie damals.“

„Gold? Weihrauch? Myrrhe? Ich bin allergisch gegen Myrrhe!“

„Wissen wir, Mann, wissen wir“, beruhigt Melchior. „Außerdem ist das doch sowas von Old School! Das bringt doch heute keiner mehr.“

„Außer vielleicht in der Kirche“, ergänzte Caspar. Melchior grinste.

„Yeah! Church dope!“

Balthazar schüttelte den Kopf und öffnete den Koffer.

„Die guten kubanischen“, erklärte der Weise und gab Jeschua eine Kiste Zigarren. „Statt Myrrhe.“

„Und Rum aus Havanna“, fuhr Caspar fort, eine Flasche aus dem Koffer holend. „Hast Du Gläser? Natürlich hast Du Gläser.“

Melchior griff als Letzter in den Koffer und holte eine reich verzierte Kiste hervor.

„Gold?“, wunderten sich Junior und ich zeitgleich.

„Schokotaler!“, rief Melchior. „Belgische Schokolade mit 95% Kakao.“

Gold, Myrrhe und Weihrauch sind Old School. Absolut nicht mehr en vogue. Dem Heiland von heute schenkt man Tabak, Schnaps und Schokolade. Dazu liebe Freunde, Torte und lustige Spiele – Junior war glücklich.

Später am Abend stand mein Junge auf dem Balkon und paffte eine Havanna. Ich gesellte mich zu ihm.

„Siehst glücklich aus, Junge“, sagte ich.

„Ich bin’s.“

„Also hatte Deine Mutter recht.“

„Womit?“

„Du hast 'ne Midlife Crisis. Ein Problem mit dem Älterwerden.“

Junior starrte mich an und lachte.

„So 'n Quatsch! Wir werden doch nicht älter!“

Also doch nicht. Schade. Marias Erklärung war so schön einleuchtend gewesen.

„Und warum hattest Du dann in den letzten Jahren so schlechte Laune im Dezember?“

Junior nahm einen Zug von der Zigarre, schloss die Augen und schwieg einen Augenblick.

„Weißt Du, Papa“, antwortete der Junge schließlich, „es war eigentlich gar nicht so sehr schlechte Laune. Es war nur…“

„Ja?“

„Die Menschen gratulieren sich zu Weihnachten immer zu meiner Geburt. Ich weiß, die Messias-Sache war mein Job. Aber trotzdem. Sie gratulierten SICH, weil ICH Geburtstag habe. Keiner von denen ist je auf die Idee gekommen, mir zu gratulieren. Deshalb bin ich auch so glücklich, dass ihr mir die Überraschungsparty organisiert habt.“

Ich hätte es wissen sollen. Ob Götter, Menschen oder Heilande – alle mögen ein bisschen Aufmerksamkeit und keiner mag es, wenn sich ein anderer mit den Dingen schmückt, die man selbst getan hat. Aber etwas nagte noch an mir. Die Torte…

„Hast Du’s gewusst? Die Party?“

„Ich hatte so ein Gefühl“, meinte Junior. „Irgendwas war sozusagen in der Tanne. Also im Busch, verstehst Du?“

Ich nickte lächelnd.

„Kommt Onkel Odin eigentlich nicht?“, fragte Junior unvermittelt. „Ich habe ihn noch nicht gesehen.“

ONKEL Odin! Ich bin mit dem Einäugigen weder verwandt noch verschwägert. Trotzdem nennt mein Junge ihn Onkel. Allerliebst, oder?

„Odin hatte noch irgendwas zu erledigen. Keine Ahnung, was.“

Junior nickte wieder lächelnd. Dann zuckte er erschrocken zusammen, als praktisch aus dem Nichts ein Geschenk ins Zimmer polterte und eine laute Stimme röhrte: „Alles Gute zum Geburtstag, Kleiner!“

Junior riss die Augen auf, legte die Zigarre ab und stürmte in die Stube.

„Onkel Odin!“

Es war, als wäre Jesus wieder ein Kind, als er den Allvater umarmte.

„Siehst gut aus, meine Junge!“, brüllte der alte Wikinger und hob das Geschenk auf. „Hier, für Dich, Kleiner. Habe ich selbst gemacht.“

Mir schwante Schlimmes. Junior riss das Papier auf und verfiel in Sprachlosigkeit. Minuten verstrichen. Auf Odins Gesicht zeichnete sich Verunsicherung ab.

„Ein Pullover?“, fragte Junior schließlich.

„Naja, ich dachte, er könnte Dir gefallen. Handgestrickt aus echter norwegischer Schafswolle.“

Odin wirkte ein bisschen verlegen.

„Danke!“, jubelte Junior. „Das ist das allerschönste Geschenk!“

Man hätte eine Stecknadel im Zimmer fallen hören können, wenn eine gefallen wäre. Alle schwiegen mit erstaunt aufgerissenen Mündern, die einen, weil sie nicht verstanden, was an einem Pullover so toll war, Odin weil er nicht damit gerechnet hatte, dass sein Pullover wirklich ankam.

„Ist verdammt kalt im Dezember in Norwegen“, erklärte Junior. „Da kann man einen warmen Pullover gebrauchen. Außerdem hat Onkel Odin sich solche Mühe gegeben. Ein Geschenk, das von Herzen kommt, muss großartig sein. Also auch der Pullover.

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