DIE GÖTTER

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Bewerbungsgespräch

Als guter Chef macht man immer wieder eine Runde durch die Firma. Das hebt das Betriebsklima ungemein. Bei einer so großen Institution wie der meinen - zumal wenn drei große Filialen betrieben werden - dauert das natürlich seine Zeit. Vor ein paar Tagen trug es sich nun zu, dass ich in der Dienstleistungseinheit Personalmanagement reinschaute.

„Hallo, alle miteinander!“, grüßte ich. „Alles senkrecht?“

Procuratorix, ein alter Gallier, der sich einst in meinen Dienst begab und nunmehr seit 1986 Jahren der Personalverwaltung angehört (ich beförderte ihn im Jahre 26 in den Engelsstand, zunächst selbstverständlich auf Widerruf, nach fünf Jahren dann auf Probe und seit 51 n.Chr. dann auf Ewigkeit), blickt von einer Akte auf.

„Oh! Hallo Chef!“, gab er gutmütig wie immer lächelnd Antwort. „Die Sonne scheint, es ist friedlich ... Ja, alles ist gut. Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten?“

Auch als Gott hat man gegen einen guten Kaffee nie etwas einzuwenden. Es war eine hervorragende Mischung kolumbianischer Hochlandkaffees. Frisch gebrüht mit einer Haube aus Milchschaum. Lecker. Ich nahm also dankend an.

„Und, was steht heute auf dem Plan?“

„In 10 Minuten habe ich hier ein Vorstellungsgespräch“, gab Procuratorix an. „So ein alter Grieche hat sich bei uns beworben.“

Ich muss an dieser Stelle zugeben, dass ich lange keinem Vorstellungsgespräch mehr selbst beigewohnt hatte. Die Engel der Personalverwaltung sind äußerst fähig und ich habe vollstes Vertrauen in sie. Diesen alten Griechen wollte ich mir aber selbst ansehen, weshalb ich mir ein Stück Wolke griff, einen Stuhl formte und mich ein Stück hinter Procuratorix niedersetzte. Keinen Augenblick zu früh. Kaum saß ich , schallte ein laut zögerliches Klopfen laut durch das Büro.

„Herein!“, rief mein Personalsachbearbeiter. Die Tür öffnete sich und ein Jüngling in Toga betrat das Büro. Der Jüngling kam mir seltsam bekannt vor. Blonde Locken, Toga, ein dünnes Bärtchen an der Oberlippe - eigentlich kein richtiges Bärtchen, es war nur wenig mehr als der Flaum eines Teenagers - und Sandalen. Gut, Sandalen waren im alten Griechenland keine unübliche Fußbekleidung, aber an diesen Sandalen war etwas besonderes. Die Dinger hatten Flügel! Wo bei Zeus und Odin hatte ich die Flügelsandalen gesehen?

An dieser Stelle muss ich wohl auch zugeben, dass wir Götter keineswegs allwissend sind. Das ist ein Mythos, mit dem Hohepriester Ordnung in die Reihen der Gläubigen zu bringen trachten. Meist funktioniert es. Es ist richtig, dass wir Götter viel wissen. Aber wer viel weiß, ist auch in der Lage, viel zu vergessen. Und ihr könnt mir glauben, dass wir Götter schon mehr vergessen haben, als ihr Menschen je wissen werdet.

„Bitte, setzen Sie sich“, bat Procuratorix. Der goldgelockte Togajüngling nahm auf einem Wolkenstuhl Platz. Er ordnete kurz seine Kleidung, strich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und blickte den Sachbearbeiterengel und mich an. Procuratorix blickte dem Blonden in die Augen, ich nickte.

„Sie haben also den Wunsch, als Bote bei uns anzufangen, Herr ...“, begann der Personalsachbearbeiter. Just in diesem Augenblick fiel es mir wie Schuppen aus den Haaren und ich wusste wieder, woher ich die Flügelsandalen kannte.

„Hermes?“

„Äh ...“, begann der Botenanwärter. Dann dämmerte es auch ihm. „Gott? Verdammt, ich habe Dich erst gar nicht erkannt!“

Ich griff an mein Kinn. „Muss wohl am Bart liegen. Hast Dich selbst gar nicht verändert, alter Knabe. Hast immer noch keine richtigen Haare im Gesicht.“

Hermes lächelte freudig verlegen, aber bevor wir unseren Plausch fortführen konnten, mischte sich Procuratorix ein: „Wie kamen Sie darauf, sich als göttlicher Bote zu bewerben, Herr Hermes?“

Herr Hermes! Ich musste kichern, hob dann aber entschuldigend die Hand und lehnte mich zurück.

Hermes sah kurz auf seine Fingerspitzen. „Naja, ich habe im Augenblick nichts zu tun. Ist schon blöd, wenn einen kein Mensch mehr ruft. Und naja ... Ich war Götterbote auf dem Olymp. Da dachte ich, vielleicht kann ich mich nützlich machen.“

Procuratorix blickte nachdenklich auf seinen Schreibtisch. „Nun, eigentlich haben wir keinerlei offene Stellen“, sagte er schließlich. „Haben Sie denn Berufserfahrung?“

Diese Frage nötigte mir ein leises Stirnrunzeln ab. Hallo? Hermes - Götterbote? Zumal Hermes dies ja eben auch sagte. Aber ich wollte mich nicht einmischen. Schließlich gibt es genug Leute, die sich für etwas ausgeben, wovon sie eigentlich keine Ahnung haben.

Hermes hingegen zeigte seine Verwirrung offen. „Ich war der Bote der griechischen Götter. Zeus, Poseidon, Hera und wie sie alle heißen“, gab er zu bedenken. „Ich habe den Job ungefähr 25.300 Jahre gemacht. Ich habe Ihren Chef noch als Berufspraktikanten in der Unterwelt erlebt, Jahre, bevor dieser Moses und seine Leute aus Ägypten abgehauen sind. Ich denke also schon, dass ich Berufserfahrung als Bote habe. Auch wenn ich, wie ich zugeben muss, seit ungefähr 1700 Jahre nicht mehr in diesem Beruf arbeite.“

„Nun, das ist eine lange Zeit.“

Ich fürchte, der alte Gallier in meinen Dienste hat keine Ahnung, was eine lange Zeit wirklich ist.

„Aber der Kurierberuf ist vermutlich wie Fahrrad zu fahren“, gab mein Personalengel zu. „Man verlernt es nicht wirklich. Können Sie Refernzen vorweisen?“

Hermes griff in den Beutel, den er über die Stuhllehne gehängt hatte - ich könnte bis heute schwören, er hatte keinen Beutel bei sich, als er das Büro betrat - und holte eine Handvoll alter Schriftrollen hervor. Porcuratorix nahm die Rollen entgegen und begutachtete sie.

„Bitte sein Sie vorsichtig“, bat Hermes. „Es sind unbezahlbare Originale.“

„Natürlich“, versicherte der Sachbearbeiter und unberflog Rolle für Rolle. „Odysseus Rundfahrten, Herakles wohlgemeinte Taten bei den Nordmännern ... die Weihnachtsgeschichte?“

Hermes wurde etwas verlegen. „Ja, wissen Sie, mein Freund Gabe hatte damals was schlechtes gegessen. Deshalb bat er mich, ihn zu vertreten und den Hirten von Bethlehem wegen des kleinen Jesus Bescheid zu sagen.“

„Ah!“, raunte Procuratix und verfiel wieder in die schweigende Lektüre der Schriftrollen.

Mir selbst wurde in diesem Augenblick klar, warum ich Gabriel so kurze Zeit nach der Verkündigung der Ankunft des Messias schon wieder gesehen hatte. All die Jahre hatte ich mich gewundert, wie der Knabe das wohl hinbekommen hatte, so schnell wieder oben zu sein. Gabriel selbst druckste nur rum, wenn ich ihn fragte.

„Nun“, fuhr Procuratorix fort, „die Sache mit den Hirten ist Ihnen ja gelungen.“

„Danke!“

„Welche Vorstellungen haben Sie von der Arbeit hier oben?“

Hermes wiegte nachdenklich den Kopf. „Ich bin da flexibel. Ich dachte, irgendwie müssten ja Gottes Ratschlüsse zu den Menschen kommen. Mit meinem Background und meiner Erfahrung sollte es mir nicht schwer fallen, seinem irdischen Vertreter Gottes Wort zu übermitteln.“

Der Sachbearbeiter nickte bedächtig. „Da mögen Sie recht haben. Aber die Menschen sind ziemlich stur. Stellen Sie sich die Aufgabe also nicht zu leicht vor.“

„Also zu meiner Zeit war das eigentlich ganz unproblematisch“, erzählte der Götterbote mit dem güldenen Haar. „Ich flog hinunter zur Erde, sagte, was die Götter beschlossen hatte und fertig. Was die Menschen daraus machten, war nicht meins. Ich war nur der Bote.“

„Stimmt.“ Procuratorix legte die Schriftrollen beiseite und öffnete eine Akte.

„Meine Güte“, staunte Hermes, „habt ihr hier aber viel Papier!“

Der Gallier lächelte. „Sie hätten vor tausendsechshundert Jahren hier sein sollen. Handgeschriebene Papyri, die oft nicht einmal der Verfasser lesen konnte, geschweige denn ein Schwein. Und Steintafeln. Steintafeln ohne Ende. Gutenberg sei Dank kam irgendwann die Druckerpresse. Die Entwicklungsabteilung forschte an dieser Technologie und verbesserte sie ständig. Ich bin irgendwann um 1680 auf Computer gestoßen und dachte, sie könnten unserer Arbeit vereinfachen. Aber die Abteilung für Zukunftstechnologie wollte uns noch keine Computer überlassen. Tun immer streng geheim. Wenn's nach mir ginge, hätten wir das papierlose Büro.“

Ja ja, die Jungs aus der Zukunftsforschung! Tun ach so schlau und sagen doch immer: „Nee, tut uns leid. Funktioniert noch nicht richtig.“ Bei euch Menschen geht's doch auch! Ein Computer oder Programm kommt auf den Markt, obwohl es Fehler hat und im Betrieb werden die Fehler beseitigt. Manche Menschen sind auf ihre Computerprogramme sogar so stolz, dass sie meinen, sie hätten das sicherste System überhaupt und Viren würden keine Gefahr darstellen. Bis es eben diese Computer erwischt. Dann ist der Aufschrei groß und niemand vorbereitet.

Noch während ich darüber sinnierte, hörte ich Hermes lachend ausrufen: „Streng genommen hatten Sie schon das papierlose Büro - als hier noch alles auf Steintafeln stand.“

Scharfsinnig der Junge. Wusste ich schon immer. Procuratorix wiederum verstand den Witz nicht.

„Ihr Führungszeugnis, Herr Hermes“, sagte der Sachbearbeiter für Personalfragen nur übergangslos, „weist einige schwarze Stellen auf. Hier steht etwas von Viehdiebstahl. Ihren Sohn sollen Sie auch bei illegalen Eigentumswechseln unterstützt haben.“

Hermes - Bote der Götter, Schutzgott der Reisenden, der Künstler, Kaufleute, Hirte aber auch der Diebe. Ach, was waren das für Zeiten, als wir, Hermes und ich, die Gegend unsicher gemacht haben. Sein diebisches Talent nutzten wir, um den Leuten Dinge zu mopsen und sie dann heimlich zu verstecken. Manchmal schäme ich mich schon ein bisschen für meine jugendlichen Streiche. Aber deshalb sehe ich sie euch Menschen auch nach.

Mein alter Freund sah sich ob seiner Vergangenheit nun aber etwas in Verlegenheit. „Autolykos ... Ja, er war der König der Diebe zu seiner Zeit. Ich gebe zu, ihm ein paar Kniffe und Fähigkeiten mitgegeben zu haben. Aber ein paar seiner Taten waren auch heldenhaft. Denken Sie nur an die Geschichte, in der er Thor seinen Hammer geklaut hatte. Mein Sohn hat ihn ja zurückgegeben, freiwillig sogar. Aber durch den Diebstahl konnte er verhindern, dass die Riesen den Hammer in die Finger bekamen.“

„Zugestanden“, stimmte Procuratorix in Hermes' Entgegnung ein. „Außerdem ist es lange her. Nun, wir haben wie gesagt keine offenen Stellen, aber ich denke, jemandem mit Ihren Talenten sollten wir eine Chance geben. Ich würde Ihnen einen Auftrag zur Probe erteilen und Sie danach beurteilen, wenn mein Chef einverstanden ist.“

Der Sachbearbeiter sah mich an und ich nickte.

Und es begab sich also, dass Hermes der Götterbotenach Rom entsandt wurde, um dem Papst mitzuteilen, es sei an der Zeit Frieden zu Schließen mit allen Gläubigen Gottes. Ich hatte es allmählich satt, dass Juden, Christen und Muslime immer aufeinander rumhackten.

Es dauerte nicht lange, bis der Götterbote wieder zurück war. „Und? Hat alles geklappt?“, fragte ich neugierig.

„Pffff!“, war Hermes' Antwort. „Nichts hat geklappt.“

Hermes rieb sich die Schulter, als hätte er Schmerzen. Jetzt fiel mir auch auf, dass er etwas derangiert wirkte. Die Toga war auf halb acht gerutscht und der rechten Sandale fehlte ein Riemchen.

„Dein Personalengel hat ziemlich untertrieben, als er die Menschen stur nannte“, grummelte der Bote. „Ich flog stracks wie 'ne Schnur zu Deinem Papst, klopfte höflich an und sagte: 'Hallo, ich bin Hermes, der Bote Gottes. Ich habe eine Nachricht von Ihrem Chef. Wenn Sie bitte den Empfang hier quittieren würden?' Dein Papst hat nichts quittiert und wollte nichts empfangen. Meinte Gott - also Du - würde keinen dahergelaufenen Vagabunden, der sich als alter heidnischer griechischer Gott verkleidet schicken. Allein in dieser Verkleidung den Ratschluss Gottes überbringen zu wollen, sei Blasphemie, für die ich 300 Jahre extra im Fegefeuer brennen müsste. Pffff! Verkleidung! Hat der nicht alle Wolken am Firmament?“

Das war jetzt blöd gelaufen. Vielleicht war Hermes' Auftritt nicht göttlich genug gewesen.

„Nicht göttlich genug?“ Der Götterbote musste meine Gedanken gelesen haben. Oder ich hatte laut gedacht. „Göttlicher ging's nicht“, seufzte er. „Aber die Menschen glauben nicht mehr an uns alte griechische Götter. Statuen von Zeus stehen nur noch als Zierde da, die Tempel sind Rummelplätze für Touristen geworden, denen man zeigen will, wie toll die alte griechische Architektur war. So ein paar Heinis in seltsamen Uniformen haben mich dann grob gepackt und rausgeschmissen. Müssen wohl Schweizer gewesen sein.“

Ach ja ... Die gute alte Schweizergarde! Wackere Burschen sind's. Nehmen ihren Job sehr ernst.

„Und nun?“, fragte ich Hermes.

„Und nun? Versuche ich's nochmal. Ich habe da eine Idee. So wenig die Menschen an uns Götter glauben, so sehr glauben sie an die Technik. Pass mal auf ...“

Hermes verschwand. Augenblicke später erreichte mich eine Nachricht aus der Abteilung für moderne Technik. „Ein Typ in Toga“, hieß es sei reingestürmt und wollte einen Computer haben. Die Frage nach seiner Berechtigungsnummer habe er rüde mit den Worten abgetan, er sei Hermes der Götterbote, habe schlechte Laune und keine Lust zu Diskussionen. Die technischen Verwaltungsengel müssen ziemlich Bammel gekriegt haben, denn sie wagten keinen weiteren Widerspruch. Offenbar hatte Hermes das Göttliche noch drauf. Minuten später erschallte ein Ruf aus Rom:

„Herr, ich erhielt gerade eine E-Mail von Hermes.Angelos@botschaften.god. Sie enthielt die Nachricht von Deinem Ratschlusse, wir sollten den Friedensprozess mit allen anderen Religionen und Konfessionen vorantreiben.

Herr, ich wusste nicht, dass ihr im Himmel auch E-Mails schreibt. Aber wenn wir Menschen so hochmodern und fortschrittlich sind, wer bin ich, dass ich dies für Gott in Zweifel ziehe. Einzig ich war nicht sicher, dass diese Nachricht echt ist. Jemand könnte sie gefälscht haben.

Bitte verstehe mich nicht falsch, oh Herr. Ich wollte nicht an Dir zweifeln. Und die vatikanischen Techniker bestätigten, dass die Nachricht echt ist. Ich will mich also in den Nahen Osten aufmachen und das Gespräch suchen. Auch mit den Kopten, den Orthodoxen und den Anhängern dieses Abtrünnigen Luther.

Dein Wille geschehe, oh Herr. Amen!“

Erstaunlich! Wenn ein Bote Gottes, also meiner selbst, auftaucht, wird er von den Menschen rausgeworfen. Erhaltet ihr eine E-Mail, tut ihr, was euch geschrieben wird. Ich musste Hermes' Einfallsreichtum Anerkennung zollen. Eine Stelle als Götterbote war nicht frei, wie Procuratorix schon anmerkte. Aber Hermes ist jetzt Chef der IT-Abteilung hier bei uns im Himmel.

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