DIE GÖTTER

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Beim Bier zum Feierabend...

Es war ein lauer Abend im März, an dem ich mit Lucifer in einem kleinen aber urgemütlichen Pub in Berlin saß. Es war ein Männerabend. Aus den Lautsprechern dudelte fröhlich irische Musik, vor mir schäumte ein kühles schwarzes Bier, Lu erfreute sich an einem Glas Milch und wir schwiegen. Wir schwiegen nicht peinlich, wir schwiegen einfach. Es ist nicht leicht, gemeinsam zu schweigen. Jemand, mit dem man gemeinsam schweigen kann, muss jemand besonderes sein, ein besonderer Freund, mit dem man sich wortlos versteht.

Das Feierabendbier ist übrigens eine eurer größten Erungenschaften, meine Lieben. Nicht hochmoderne Computer, nicht superschnelle Autos. Es ist das Bier, das stellvertretend für jedes andere Getränk steht, das man nach getaner Arbeit zusammen mit Freunden zu sich nimmt.

Lu nahm einen Schluck Milch, lächelte und lehnte sich mit geschlossenen Augen in seinem Sessel zurück. Seufzend ließ er die Last des Tages von sich abfallen.

„Ich wusste gar nicht, dass sie hier auch Milch ausschenken“, posaunte ich in die Stille.

Ich posaunte nicht wahrhaftig, nach den langen Minuten des Schweigens schien meine Stimme jedoch durch den Raum zu dröhnen wie eine Fender-Gitarre an einem bis auf 11 aufgedrehten Verstärker.

Lucifer lächelte stumm.

„Ich wusste auch gar nicht“, fuhr ich fort, „dass Du Milch trinkst.“

Lucifer lächelte weiter.

„Ich denke, du bist allwissend“, gab mein Chefankläger und alter Freund zurück.

Der Nimbus der Allwissenheit kann einem ziemlich auf den Senkel gehen. Besonders wenn er gar nicht stimmt. Ja, ich sehe alles, weiß alles, was auf der Erden Rund passiert. Ich weiß, dass es in der Sahara viel zu wenig Regen gibt, dass die Polkappen abschmelzen und ob England Fußball-Weltmeister wird. Ich verrate es euch aber nicht. Will ja nicht spoilern.

Bestimmte Dinge entziehen sich aber aus ihrer Natur heraus meinem Wissen.

„Du weißt genau, dass ich nicht nur den Menschen, sondern auch euch Engeln den freien Willen gab, alter Knabe“, warf ich ein. „Wie soll ich also wissen, was du in deinem freien Willen für dich beschließt?“

Der Teufel nickte zustimmend, öffnete dann aber seine Augen und sah mich kritisch an.

„Aber manchmal setzt du deinen eigenen freien Willen über unseren.“

„Häh?“, antwortete ich verblüfft.

„Du hast mich so lange genervt, den Unterweltsjob anzunehmen, bis ich zustimmte, nur um endlich meine Ruhe zu haben.“

Stimmt. Ja, ich gebe zu, Lucifer geradezu in seine satanische Rolle gedrängt zu haben. Aber jemand musste diese Arbeit machen und Lu war immer der Beste unter den Engeln. Während Michael und Uriel bei jedem vermeintlichen kleinen Fehltritt ihre Flammenschwerter zogen, während Gabriel Jahrhunderte lang über den Sinn seiner Existenz grübelnd einsam auf einer Wolke saß und Raphael immer neue Spielzeuge erfand, mit denen die Schöpfung viel leichter zu vollenden sein sollte – unglücklicherweise hatten die meisten seiner Erfindungen unangenehme Nebenwirkungen wie das plötzliche Auftreten plattentektonischer Aktivitäten im Atlantischen Ozean und der damit verbundene Untergang eines ganzen Kontinents – war Lucifer ein Engel der Tat, der die notwendige Gelassenheit besaß, auch mal sieben gerade sein zu lassen, wenn ein Mensch in seinen Taten irrte, weil er es nicht besser wusste.

Wenn ich ehrlich bin, übertraf Lucifer manchmal sogar mich, wenn es um unendliche Weisheit ging. Als Kain seinen Bruder erschlug, war es der Teufel, der mich davon abhielt, die Tat auf dieselbe Weise zu vergelten. Er meinte, ich trüge eine Mitschuld, weil ich nicht auf Kain eingegangen sei, fragte mich, ob mich eigentlich spirituell weiterbringe, wenn ich als Vergeltung Kain erschlüge. Ob es nicht sinnvoller sei, Kain den rechten Weg zu weisen, indem ich ihm zeigte, wie man mit seinen Mitmenschen umgehe.

Lu hatte recht und ich sah es ein. Ich grummelte aber ich sah es ein und setze mich zu Kain um mit ihm über seine Missetat zu reden. Der Junge wusste, dass er einen Fehler gemacht hatte und um ihm zu zeigen, dass ich ihn trotzdem liebhabe, gab ich ihm ein Mal, damit ihm niemand etwas tut.

„Ja, ja“, seufzte ich und trank noch einen Schluck. „Du bist nach wie vor der beste für den Job, Lu. Aber wenn Du etwas anderes tun willst, suche ich Ersatz.“

Das zumindest war und bin ich meinem alten Freund schuldig.

„Ist schon gut“, winkte der Teufel ab. „Ist schon gut. Irgendwie mag ich meinen Job ja. Eine Urlaubsvertretung reicht schon.“

„Urlaub?“

„Solltest Du auch mal machen. Steig auf den Kilimandscharo und male ein Bild! Geh auf Safari in der Arktis, solange es da noch Eisbären gibt! Es gibt da eine neue Kamera, die musst du einfach ausprobieren. Da wäre der Nordpol der perfekte Ort.“

Ich legte nachdenklich den Kopf schief und nickte bedächtig.

„Oder setz dich für ein paar Wochen auf deine Terrasse, strecke die Beine aus und treibe ein bisschen Unsinn bei Facebook und Twitter!“, schlug Lucifer weiter vor.

Es schauderte mich.

„Ja bist du närrisch, Bub?“, entfuhr es mir. „Das ist doch kein Urlaub! Hast du in letzter Zeit dort mal vorbeigeschaut? Wenn ich meinen Urlaub damit verbringe, rege ich mich jede zweite Minute auf! Dann lieber mit einem guten Buch nach Sibirien.“

„Bah!“, rief der Teufel aus und schüttelte sich. „Da ist’s doch saukalt!“

„Nur im Winter. Nicht, wenn Du im Sommer hinfährst. Du solltest nur ausreichend Mückenspray mitnehmen.“

Wir lehnten uns entspannt zurück und genossen die Stille, die sich von der Musik und dem allgemeinen Geräuschpegel abgesehen wieder über die Gaststube legte. Minuten verronnen, während Lu und ich an unseren Getränken nippten und mental weiter und weiter in den Feierabend glitten. Ja, auch Götter machen irgendwann Feierabend. Auf dem Olymp herrscht dann meist Partystimmung, ich selbst mag es lieber ruhig. Liegt vielleicht daran, dass ich ein Einzelkind bin.

„Was regt Dich eigentlich an Facebook und Twitter so auf?“, unterbrach mein Lieblingsengel unser Schweigen. „Mit der Datensammelwut sollten wir doch kein Problem haben. Die Menschen wissen doch ohnehin alles über uns.“

Niedlich diese naive Unbedarftheit. Wahrhaft niedlich.

„Sie glauben, alles über uns zu wissen“, antwortete ich. „Sie glauben es. Aber solange du keine Fotos deines Mittagsmahls bei Instagram postest, wird niemand glauben, dass du Rote Grütze liebst.“

Es stimmt. Lucifer liebt Rote Grütze. Und Mohnkuchen. Mittags isst er am liebsten Pizza, zum Frühstück Toast mit Erdbeerkonfitüre. Lucifer hasst Kaffee mit Milch, ist aber offen für die verschiedensten Aromen. Auf seinem Wohnzimmertisch steht immer eine Schüssel mit Nüssen, Obst und Gemüse muss saisonal sein. Lu meint, ich hätte mir schon etwas dabei gedacht, dass im Winter in Mitteleuropa keine Erdbeeren wachsen. Wo er Recht hat, hat er Recht.

Lucifer grinste.

„Glauben!“, rief der Teufel leise. „Die Menschen glauben doch nicht einmal, was sie sehen.“

Ich glaube, ich muss einen skeptischen Blick aufgesetzt haben.

„Pass auf, ich beweise es dir.“

Luzifer stand auf, sah durch den Raum und rief laut: „Ich bin Luzifer, der Teufel, und mein Freund hier ist Gott!“

Die Menschen sahen uns an, manche schüttelten den Kopf und schließlich wandte sich jeder wieder seinen eigenen Angelegenheiten zu.

„Siehst Du“, belehrte Luzifer mich, „du könntest mit der ganzen Familie in voller Pracht hier stehen. Das volle Programm, mit Heiligenschein und allem Pipapo. Keiner würde glauben, dass du Gott bist.“

„Ist nichts Neues“, gab ich zurück. „Aber was beweist das? Die Menschen glauben, dass es uns gibt. Sie glauben nur nicht, dass wir sind, wer wir sind. Das ist die Sache mit dem Glauben. Er funktioniert nur, solange man nicht weiß.“

„Und ich glaube, wir sind vom Thema abgekommen. Wir sollten Urlaub machen.“

Ich schüttelte den Kopf.

„Nein, Du wolltest mich überzeugen, meine Zeit im Internet zu verschwenden.“

„Komm schon!“, schmollte Lu verspielt. „Das macht Spaß! Was ist dein Problem, Grandpa?“

Grandpa? Uns trennen gerade eben 1200 Jahre, vielleicht ein paar Jahrtausende mehr. Ich bin nicht sicher. Zeit ist relativ. Besonders für Götter.

„Mein Problem ist, Kleiner, dass dort so viele Klotzköpfe sind, die mir ewige Verdammnis bei Dir androhen, wenn ich schreibe, wer ich bin.“

Zitat Twitter:

Gott @liebergottimhimmel:

Könnt ihr euch nicht einfach mal vertragen? Warum vergesst ihr immer, was mein Junge euch gelehrt hat und hebt doch euren Glauben über den anderer? #seidnettzueinander

Antwort von ERTSKONVERSATIVER hippSTER @deroberhorst:

Ey wer bist dun‘????? Un was sooll die Blasfeemie dich gott zu nenn????? dafür Kommst du in die höhle!!!!!!

Versteht ihr, was mein Problem ist?

Luzifer runzelte die Stirn, lachte kurz, griff zum Smartphone und sagte: „Warte mal!“ Augenblicke später piepste es. Mein Telefon vermeldete: „Der Morgenstern @lichtbringer gefällt Dein Tweet“ und „Antwort an @liebergottimhimmel und @deroberhorst: http://www.duden.de – nur um Ihnen die Sprache Ihrer Heimat näherzubringen“

„Ist ein bisschen flach, oder?“, wandte ich ein.

„Stimmt“, gab Lu zurück. „Funktioniert aber.“

Überzeugend ist anders, wenn ihr mich fragt. Auf flache, uninspirierte und annähernd sinnfreie Kommentare – ja, annähernd sinnfrei, die Annäherung erfolgt dabei von unten – ebenso flach zu antworten zeugt auch nicht von größerer Inspiration als der Kommentar selbst. Mein Anspruch ist da größer.

„Ich hätte auch schreiben können, dass…“, begann Luzifer.

„…du nicht in einer Höhle wohnst?“, vollendete ich seinen Satz. „Das glaubt dir kein Mensch?“

„Verdammtes Mittelalter!“, meckerte Lu.

Verdammtes Mittelalter! Hexenjagden, Kreuzzüge… Und in der Renaissance wurde es nicht besser. Plötzlich hatte ich einen langen weißen Bart. Ein solcher Bart lässt einen alt aussehen. Das ist traumatisch. Das muss auch ein Gott erst einmal verarbeiten. Die Erinnerung verfolgt mich noch heute in meinen Träumen. Schaudernd nahm ich einen Schluck von meinem schwarzen Dubliner Gebräu.

Dann hatte ich eine Idee.

Gott @liebergottimhimmel

Antwort an @lichtbringer @liebergottimhimmel @deroberhorst

Woher wissen Sie, dass ich nicht bin, wer ich bin?

Mein erster Engel las, wischte sich den Milchbart von der Oberlippe und sah mich fragend an.

„Warte es ab!“, forderte ich ihn auf. Es dauerte nicht lange.

ERTSKONVERSATIVER hippSTER @deroberhorst

Antwort an @lichtbringer @liebergottimhimmel @deroberhorst

Wall gott kein twitter hatt.

„Wie kommt der darauf?“, wunderte sich Luzifer und stellte die Frage auch gleich beim Kurznachrichtendienst. Jeder wisse das, war die Antwort. Ich säße doch hoch oben auf meinem himmlischen Thron und lenke der Welt Geschicke. Mein weißes Gewand hätte auch keine Tasche für ein Mobiltelefon. Jackpot! Da hat sich wohl jemand wider die Regeln ein Bild von mir gemacht? 200 Jahre Fegefeuer!

Ich setze die Strafe natürlich zur Bewährung aus.

Mein Glas war leer und ich signalisierte dem netten jungen Mann mit den rehbraunen Augen und dem Tablett meinen Wunsch nach Nachschub. Während ich wartete kreisten meine Gedanken voll spitzbübischer Freude darum, was man noch aushecken könnte.

„Du könntest Trump darauf vorbereiten, nach seinem Tod in meiner Obhut zu landen“, schlug Luzifer vor.

„Alter Freund“, seufzte ich, „daraus wird nicht. Trump kommt in den Himmel.“

Luzifer verstand nicht.

„Er belästigt Frauen, ist ständig auf Krawall gebürstet, eine Bedrohung für die freie Welt und du willst ihn zu dir holen? Bist du so auf dem Vergebungstrip?“

Ich lächelte verschlagen.

„Nein, die Vergebung ist Juniors Ding. Trotzdem kommt Trump in den Himmel. Dort kann er dann 24 Stunden am Tag den Engeln zuhören, die auf Harfen und Schalmaien die Internationale spielen. Und wenn er denkt, es könne nicht schlimmer werden, ergänzt Hillary Clinton das Ensemble mit ihrer Stimme. Glaub mir, mein Freund, der Himmel wird die Hölle für ihn sein.“

Luzifer salutierte mir mit seinem Milchglas.

„Wann ist es eigentlich soweit?“

„Herbst 2020“, antwortete ich. „Herzinfarkt. Gleich nachdem Frau Clinton die Wahl gewonnen haben wird.“

„Dann wird sie also doch die erste amerikanische Präsidentin?“.

Ich schüttelte bedauernd den Kopf.

„Nein, sie wird auf dem Weg zur Ernennung vom Bus überfahren. Michelle Obama kriegt den Job.“

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