DIE GÖTTER

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Der Leserbrief

Ob ihr es glaubt oder nicht, ich erhielt vor kurzem einen Leserbrief. Ja, auch uns Göttern schreibt man manchmal und ich finde das toll. Wozu haben wir euch sonst erklärt, wie man die Schrift erfindet? Wozu lernt ihr zu schreiben und zu lesen, wenn ihr dann doch nur in den leeren Himmel schaut und sagt: „Lieber Gott, könntest Du..?“ Und euch anschließend ärgert, weil ich angeblich nicht antworte.

Natürlich antworte ich euch. Ihr müsst nur die Augen öffnen, um die Antwort lesen zu können. Stellt euch vor, liebe Menschen, ich würde auf jede Frage oder Bitte mit meiner Stimme antworten! Bei der schier unendlichen Menge Anfrage, die die himmlischen Sphären erreichen, würdet ihr die Antworten gar nicht mehr verstehen, weil alles nur noch durcheinander schallt und hallt.

Erstaunlicherweise sind es die Kinder, die das Problem zu verstehen scheinen. Vor ein paar Tagen lag nämlich auf dem Altar des Aachener Doms ein Umschlag, auf dem in kindlicher Handschrift stand: „An den lieben Gott“

Ist das nicht süß? Ich finde, die Erwachsenen könnten etwas von dem Kinde lernen, das mir schrieb. Es gefällt uns Götter auch, wenn man uns ein wenig Zuneigung entgegenbringt.

„An den lieben Gott“…

Ich ließ es mir nicht nehmen, diesen Brief selbst zu lesen. Und ich will es mir nicht nehmen lassen, den Brief selbst zu beantworten.

Liebes Kind, die Antwort ist einfach. Aber zuerst will ich den anderen Deinen Brief vorlesen:

„Lieber Gott,

ich bin die Anika und ich bin schon fast 7 Jahre alt. Ich komme bald in die 2. Klasse und meine Lehrerin sagt, ich kann schon super toll lesen und schreiben und rechnen.

Heute sind Ferien. Gestern war auch schon Ferien und darum waren wir am See. Nächste Woche fliegen wir in den Urlaub nach Majorka. Mama sagt, man schreibt das mit 2 L und mit C. Mallorca. Aber da ist ja dann gar kein J drin! Das finde ich komisch. Papa sagt aber das stimmt so, weil es eine andere Sprache ist. Da sagt man kein Doppel-L sondern ein J. Komisch. Warum können das nicht alle die Buchstaben gleich sprechen? So kann man doch gar keine andere Sprache richtig lernen! Das ist ja dann alles ziemlich kompliziert. Aber wenn ich größer bin, geht das vielleicht leichter.

Später wenn ich groß bin will gerne wie ein Vogel fliegen können. Meinst du ich könnte fliegen lernen? Mein Onkel Martin sagt ja immer, wenn du gewollt hättest dass wir fliegen können, hätten wir Flügel. Aber ich glaube, weil wir ja selbst keine Flügel haben, haben wir eben welche an die Flugzeuge gebaut.

Ich muss dich aber mal was fragen, lieber Gott. Als wir gestern am See waren, waren da total voll viel Mücken. Und die haben uns voll total ganz viel gestochen. Jetzt juckt das überall. Warum ist das eigentlich so? Warum stechen die ollen Mücken und warum gibt es die überhaupt?

Vielleicht kannst du mir ja auch einen Brief schreiben und mir das erklären. Wäre voll toll von dir, lieber Gott. Aber wenn nicht, ist das auch nicht schlimm. Ich weiß ja, dass du voll viel zu tun hast. Du musst ja überall auf der Welt das Wetter machen und so. Ich versteh das schon. Bin ja kein kleines Kind mehr.

Vielleicht kannst du auch auf Mallorca machen, dass die Sonne scheint, wenn wir da im Urlaub sind. Ich schicke dir dann ein schönes Urlaubsfoto in dem nächsten Brief.

Tschüss lieber Gott

Deine Anika“

Herzallerliebst der Brief, oder? Herzallerliebst.

Meine liebe Anika,

lass mich Dir erst einmal sagen, dass Du wirklich schon ganz toll schreiben kannst. Danke für Deinen Brief.

Ob Du später lernen kannst zu fliegen, willst Du wissen? Ich glaube schon. Du bist ja super gut in der Schule und Du kannst alles werden, was Du willst. Sogar Fliegerin. Du musst nur weiter so fleißig lernen.

Und ärgere Dich nicht, dass Du nicht so gut malen kannst wie andere. Ja, ich weiß das alles. Aber das wusstest Du bestimmt auch schon.

Soll ich Dir ein Geheimnis verraten? Aber nicht weitersagen! Ich kann nämlich auch nicht gut malen. Das ist aber nicht so schlimm. Dafür konnte Michelangelo super toll malen. Und Raphael und Donatello und Leonardo.

Nein, ich meine nichts die Turtles! Ich meine die Maler aus der Renaissance. Das spricht man übrigens Renesangs aus. Ist wieder eine andere Sprache.

Michelangelo, Donatello, Raphael und Leonardo jedenfalls haben viele tolle Bilder in Kirchen gemalt. Die sehen richtig toll aus. Und weil ich nicht so gut malen kann, freue ich mich umso mehr, dass andere es können und Bilder für mich malen.

Liebe Anika, ich habe mich über Deinen Brief sehr gefreut. Und natürlich mache ich euch schönes Wetter auf Mallorca. Nur am 14. muss es leider kurz regnen. Die Blumen brauchen ja auch etwas zu trinken. Es regnet auch nur ganz kurz, wenn ihr Mittag esst. Versprochen!

Das mit den Mücken ist aber wirklich blöd gelaufen. Ich war vor zwei Wochen im Harz und bin an der Bode entlang gewandert. Als Gott muss man auch mal Urlaub machen und der Harz ist eine superschöne Gegend. Bis auf die Mückenbiester. 176 Mückenstiche hatte ich!

Nein, das war natürlich nur ein Spaß. So viele Mücken haben mich nicht gestochen. Es waren nur 15. Aber wo die alle gestochen haben! Auf dem Arm, an der Hand, am Rücken, im Gesicht.

Eine Mücke hat mich mitten auf die Nasenspitze gestochen. Ich sah aus wie Rudolph das Rentier. Und am Rücken kann man sich immer so schlecht kratzen!

Aber man soll ja sowieso nicht am Mückenstich kratzen, weil es dann eher schlimmer wird.

Es war eigentlich auch gar nicht so geplant. Das mit den Mücken. Sie sollten ursprünglich verschiedene Farben annehmen, je nachdem welche Blutgruppe ein Mensch hat. Was Blutgruppen sind, lernst Du später noch. Die Idee war, dass Menschen leicht herausfinden können, wer jemandem Blut abgeben kann. Man nimmt eine Mücke, setzt sie einem Menschen auf den Arm, damit sie ein Tröpfchen Blut trinkt, und schaut nach, ob die Mücke rot, grün oder lila wird.

Irgendetwas ist aber schiefgelaufen mit den Mücken. Ich wollte die Biester wieder verschwinden lassen aber es war zu spät.

Irgendwann gab es aber doch noch eine Chance. Ich hatte Besuch von einer guten Freundin. Sie heißt Frigga und ist eine große Göttin im Norden bei den Wikingern. Du weißt bestimmt, wer die Wikinger waren. Doch, ganz bestimmt hast Du schon einmal Wickie gesehen.

Frigga jedenfalls wollte den Staub ihrer Reise abwaschen und ging in mein Badezimmer. Sie drehte das Wasser auf und ließ die Wanne volllaufen. Irgendwann hörte ich ein Kreischen aus dem Badezimmer. Ich dachte erst, Frigga hätte eine Spinne gefunden. Aber es war anders.

„Hilfe!“, rief Frigga aus dem Bad. „Ein graues Haar!“

Ich sprang auf, rannte die Treppe hinauf zum Bad und versuchte, die Tür zu öffnen. Frigga hatte natürlich abgeschlossen, um ungestört baden zu können. Ich klopfte an, aber Frigga öffnete nicht.

„Frigga, ist alles in Ordnung?“, fragte ich durch die Tür. Keine Antwort Frigga war in Ohnmacht gefallen, ich kam nicht ins Bad und das Wasser lief.

Und weißt Du, was passiert, wenn meine Badewanne überläuft? Genau! Es regnet nicht einfach nur, die Erde wird überflutet. Du kennst bestimmt die Geschichte von Noah und der Sintflut. So war es wirklich.

Frigga war also in Ohnmacht gefallen, die Badewanne drohte überzulaufen und ich kam nicht ins Badezimmer. Nun musste es schnell gehen und ich musste retten, was ich retten konnte.

Heutzutage würde ich einfach zum Telefon greifen und euch Menschen warnen. Oder ich würde eine E-Mail schicken. Aber damals gab es noch kein Telefon und keine E-Mail und kein WhatsApp. Also lehnte ich mich aus dem Fenster und suchte nach Noah, denn Noah war derjenige, der am schnellsten reagierte, wenn ich rief. Nach einem kurzen Augenblick fand ich ihn.

„Hey, Noah!“, rief ich zur Erde runter und Noah sah sofort zu mir, wie ich es erwartet hatte.

„Gott?“, antwortete Noah. „Was soll ich für Dich tun, Gott?“

Der gute alte Noah! Immer auf dem Sprung. Allzeit bereit wie die Pfadfinder.

„Noah, hör zu!“, brüllte ich aus dem Fenster. „Gleich wird’s nass. Richtig nass. Bau ein Schiff! 300 Ellen lang, 50 Ellen breit, 30 Ellen hoch. Zedernholz am besten. Den Rumpf mit Pech abdichten! Schnapp Dir ein paar Tiere von jeder Sorte, geh mit Deiner Familie aufs Schiff und warte einfach ab, bis das Wasser wieder weg ist!“

Noah winkte und nickte und machte sich an die Arbeit. Ich rief ihm noch hinterher, er solle die blöden Mücken NICHT mitnehmen. Noah hörte mich aber nicht mehr und so waren auch zwei Mücken auf der Arche.

Du siehst, liebe Anika, ich habe alles versucht. Aber Noah hatte in seinem blinden Eifer, mir einen Gefallen zu tun nicht zugehört. Die Mücke auf der Arche ließen natürlich Noah und seine Familie nicht in Ruhe und alle beklagten sich über die juckenden Male, die ihre Stiche hinterließen.

Unter uns, liebe Anika, ich weiß, dass ich besser hätte aufpassen können. Aber Noah ist auch nicht unschuldig. Selbst wenn er nicht gehört hatte, dass er die Mücken nicht mitnehmen soll, hätte er selbst nachdenken können. Wir Götter haben euch Menschen schließlich den freien Willen und vor allem Verstand gegeben. Wäre Noah sich nicht sicher gewesen, hätte er einfach fragen können: „Gott, die Mücken auch?“ Ich hätte dann natürlich „Nein!“ gesagt.

Aber leider ist es so, wie es ist. Die Mücken sind noch da und wir alle, Menschen wie Götter, müssen damit leben.

Glaube mir, liebe Anika, es ist auch für uns Götter nicht einfach. Als ich vergangenen Monat in Griechenland war beschwerten sich Hera und Zeus, dass sie nicht richtig sitzen können. Auch sie waren an einem lauschigen See gewesen und hatten sich in die Sonne gelegt. Irgendwann drehten sich beide auf den Bauch, damit die Sonne ihre Rücken bescheinen konnte. Kannst Du raten, was passierte? Genau! Ein Schwarm Mücken kam angeflogen und stach beide in den Po. Ihr Menschen seid so erfinderisch! Hätten sie euch gefragt, wären Zeus und Hera vielleicht auf die Idee gekommen, sich in einer Drogerie etwas gegen Mücken zu holen und sich damit einzuschmieren.

Das mit den Mücken tut mir echt leid, liebe Anika. Es war wirklich keine Absicht. Aber ich habe noch einen kleinen Rat für Dich: Wenn Dich eine Mücke gestochen hat, reibe etwas Spucke auf den Stich. Oder schneide eine Zwiebel in zwei Hälften und halte eine Hälfte auf die juckende Stelle. Davon geht der Stich nicht weg, es juckt aber nicht mehr so sehr.

Ich hoffe, Du schreibst mir bald wieder, liebe Anika. Ich freue mich schon auf Dein Urlaubsfoto. Und schau, hier ist auch ein Urlaubsfoto von mir.

Fairy Pools

Bis bald

Dein Gott

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