DIE GÖTTER

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Diätstaub

Einst lud in der Götter Heim

der Zeus zu einer Orgie ein.

Man vergnügt‘ sich bei Wein, Gesang und Schmaus

und alsbald sah der Olymp wie 'n Schlachtfeld aus.

Frau Hera drum zum Morpheus lief,

des Schlafes Herrn um Hilfe rief,

Einhalt zu gebieten der Götter Wahn,

wie er’s vor Troja hatt‘ getan.

Der Hypnos half, die Götter schliefen,

Athene und Hera die Putzteufel riefen.

Die Ordnungsdämonen räumten auf.

Die Götter erwachten und seeehr menschlich‘ Dinge nahmen ihren Lauf.

***

Der Göttervater schlug seine Augen auf, langsam und vorsichtig. Der Sonne Licht durchflutete den Olymp, hüllte die marmornen Säulen und die güldenen Stühle der Unsterblichen in einen gleißenden Schimmer und tat dem Großen Zeus weh.

„Mein Schädel!“, wehklagte der Hera Gatte, schloss die Augen wieder und hielt sich die Hände an die Schläfen. „Wo bin ich? Wie kam ich hierher? Und warum riecht hier alles so zitronenfrisch?“

Noch langsamer und noch vorsichtiger als zuvor öffnete Zeus erneut seine Augen und erneut ward er geblendet. Doch diesmal hielt er stand. Womöglich war er auch nur vor Schreck erstarrt und konnt‘ sich nicht mehr regen.

„Hera, oh Sonne meiner Seele!“, rief der Vater aller Olympier freudig und doch schwach aus, die schlummernde Angst in seiner Stimme nicht verbergen könnend. „Sag, liebstes Weib, warum liege ich unterm Ratstisch der Götter und nicht zusammen mit Dir in unserem Ehegemach?“

Es war Heras Lächeln, warm und liebevoll, dass den Großen Zeus vorsichtig ein paar Armeslängen zurückkriechen ließ, denn er erinnerte sich, am Vorabend – oder war es gar zwei Abende her? – zu einem Feste geladen zu haben und seiner Gattin Lächeln nach einem Feste bedeutete meist nichts Gutes. Zeus kannte seine Gattin keifend und zeternd, wenn die Götter es beim Gelage einmal mehr übertrieben hatten. Manches Mal lächelte sie, schadenfroh über des Göttervaters Katzenjammer und mehr noch darüber, was gleich kommen würde. Kalt und grausam war Heras Lächeln dann und Zeus der Allmächtige hatte sich damit abgefunden, dass seine Ehefrau in diesen Situationen war, wie sie nun einmal war. Er blickt dann voll Scham zu Boden, hörte Heras Tiraden aufmerksam zu und antwortete stets in den rechten Momenten, denn ein oberster Gott antwortet IMMER in den rechten Momenten: „Ja, Schatz!“

Dieses Mal jedoch war seiner Gemahlin Lächeln warm und liebevoll. Und dies ängstigte den Göttervater.

„Du hast gestern Abend wieder eine Winzigkeit übertrieben, liebster Gatte“, entgegnete Hera und tat einen Schritt auf ihren Gatten zu.

„Ja, Schatz!“, antwortete der prompt und rückte eine weitere Armeslänge zurück, stieß jedoch gegen den Ratstisch und sah sich gefangen.

Tausend Pfauenaugen wirbelten vor Zeus‘ Augen, als sein Eheweib einen weiteren Schritt tat und sich im Kreise drehte.

„Gefällt Dir mein neuer Mantel?“, gurrte die Mutter der Götter.

Der meisten Götter, nicht aller Götter, das sei der Vollständigkeit und der Richtigkeit erwähnt. Aphrodite, um die Schönste aller Göttinnen als Exempel zu wählen, Venus, wie sie von den Nachfahren des Aeneas genannt wurde, gilt als Tochter des Uranos und entstieg des Meeres Schaum. Zwar erhebt auch Göttervater Zeus den Anspruch, der Aphrodite Vater zu sein und die himmlischen Genealogen sind sich ihrer Sache nicht sicher, doch entstammt die liebliche Schaumgeborene eben nicht dem Leib der Hera.

Der Zeus nun besah sich seines Weibes neue Kleidung. Schwindlig wurde ihm vom Wirbel der Augen auf den Pfauenfedern, aus denen Heras Gewand gewirkt war. Die Göttergattin ging auf und ab und hier und da rutschte ihr neuer Pfauenmantel nach oben und offenbarte die ebenmäßigsten Beine, die Zeus je gesehen hatte, ließ er die schöne Aphrodite außen vor. Schwindlig wurde dem Göttervater von der Vorstellung dessen, was der Hera Mantel verbarg.

„Ist er nicht wundervoll?“, jauchzte Hera und drehte sich einmal mehr im Kreise.

„Ja, Schatz!“

Hera eilte auf ihren Gatten zu, nahm sein Gesicht zwischen ihre feinen Hände und küsste den Zeus.

„Danke, Liebster!“, säuselte das Götterweib und setzt sich zu ihrem Gemahl auf den Boden.

„War es gestern wirklich so schlimm? Ich kann mich gar nicht erinnern, so viel getrunken zu haben, dass ich den Weg ins Bett nicht mehr gefunden hätte. Ich kann mich nicht einmal erinnern, so viel getrunken zu haben, dass ich mich nicht mehr erinnern kann! Warum liege ich hier unterm Tisch? Als Einzigster?“

Der Here Gesicht strahlte ihren Gatten voll Milde an. Sie legte ihre Hand auf seine Wange, dann auf seinen Bauch. Dann legte sie die Hand auf ihren Bauch.

„Weißt Du, liebster Gemahl, es lag gar nicht am Wein. Der gute Dionysos war sogar ein bisschen verunsichert, weil so viel Wein übrig war. Aber wir sollten unsere Partys überdenken.“

„Überdenken?“

„Ja.“

„Ach, Liebste“, warf der Göttervater ein, „wir feiern so selten in der letzten Zeit, dass wir es ruhig einmal richtig krachen lassen können. Meinst Du nicht auch?“

Hera lachte so urplötzlich und so laut und glockenhell, dass über den Weiten der Wüste Nevadas das nächtliche Firmament zersprang und zweiundvierzig Sterne wie Schnuppen zur Erde fielen.

„Das nennst Du ‚es richtig krachen zu lassen‘?“, prustete das Weib des Zeus. „Ein Menü aus 21 Gängen, ein bisschen Wein, ein Poet, der seine Werke liest und eine anschließende Podiumsdiskussion? Gut, die Diskussion war schon recht wild und lustig. Aber früher krachte es mehr. Da hattest Du den Brummschädel vom Wein, nicht weil die Putzteufel mit dem Schädel dagegen rannten, weil Du nach dem Mahl zu schwer warst, in Deine Kemenate getragen zu werden.“

„Ja, Schatz! Ich werde mich bessern.“

„Das gilt übrigens für alle“, seufzte das Götterweib, hielt sich den Bauch und zeigte auf die blondgelockte Schönheit, die träge und müden Auges den Saal betrat, in dem am Abend zuvor die hochkulturelle Feier der Götter stattgefunden hatte. „Schau Dir Aphrodite an! Sie schleppt sich mühsam dahin, müde und träge…“

„Muss zu viel gegessen haben“, murmelte die Schaumgeborene und hob grüßend die Hand. „Konnte mich heute Morgen kaum aufraffen mich zu erheben, geschweige denn, dies dann auch zu tun. Mich erheben, meine ich.“

Vor einer silbernen Tafel blieb die Tochter des Meeres stehen und sah hinein. Sie riss ihre Augen auf, als sie ihr Spiegelbild erblickte, sie stand erstarrt auf ihrem Platz und dann…

Dann kippte Aphrodite nach hinten, bleich wie eine Platte weißesten Marmors und eben so steif.

Athene und Hermes, die zu den anderen Göttern stießen, sahen die Schöne auf dem Boden liegen und blickten einander verwundert in die Augen.

„Isse imma noch nich wach?“, grübelte der Götterbote murmelnd.

Athene in ihrer Weisheit erkannte jedoch, dass es einen anderen Grund geben musste. Sie besah sich ihre Schwester genauer, als Ares den Raum betrat, der Gott des Krieges, muskulös und durchtrainiert. Der Sohn des Zeus sah die Schwester am Boden liegen und verlachte sie, weil die schöne Aphrodite keinen Wein mehr vertrüge. Dann sah er die silberne Tafel, in die schon die Schaumgeborene sah, stellte sich vor sie und bewunderte voll Eitelkeit seinen Körper. Ares bewunderte seinen muskulösen Arm. Ares bewunderte seine muskulösen Schultern. Ares erfreute sich an seiner breiten, muskulösen Brust. Ares besah sich seinen…

„Ah! Mein Bauch! Mein schönes Sixpack ist weg!“

„Ja!“, rief seine Mutter. „Jetzt hast Du 'n Fass!“

Und so kam ein großer Jammer über den Olymp. Ein jeder, ob Göttin, ob Gott, ob geladener Gast aus dem Reiche der Sterblichen, ob Olympier, Asen und Herrscher der Unterwelt, fand hier ein Fettröllchen und dort ein überflüssiges Gramm. Der Gott des Krieges lag weinend neben seiner Schwester auf dem Boden. Hermes Götterbote zog sich seine geflügelten Laufschuhe an und fing an zu laufen. Athene griff in ihre Handtasche und holte einen Papyrus hervor.

„Ich habe hier ein paar Rezepte für gewichtsbewusste Ernährung“, erklärte sie ihren Mitleidenden. „Vielleicht sollten wir uns eine Weile ihrer bedienen.“

Hera verzog das Gesicht bei dem Gedanken an Gemüsesäfte, Zeus zog die Augenbrauen nach oben, als er vor seinem inneren Gesicht einen kleinen Salatteller und ein Glas zuckerfreie Limonade sah. Ares hob den Kopf und weinte dann umso mehr und Hermes rannte schneller, einerseits um seine Pfunde loszuwerden, andererseits um so weit wie irgend möglich zu fliehen. Athene erbarmte sich und steckte den Papyrus zurück in ihre Tasche.

„Also gut“, sprach die Weise, „aber wir werden in den nächsten Tagen ein ausgedehntes Fitnessprogramm absolvieren, bis wir wieder genauso schön und göttlich aussehen wie vorher.“

Über den Thermophylen ging eine Sintflut nieder von den Tränen, die Ares weinte. Aphrodite jammerte, sie hätte keinen Sportanzug, der ihren Bauch verbergen könne. Zeus jedoch erhob sich und seine Stimme übertönte all das Jammern der anderen.

„So sei es!“, rief der Göttervater. „Wir werden uns körperlich ertüchtigen, bis die Spuren des gestrigen Mahles verschwunden sind. Ich will, dass mir meine heldenhafte Gewandung wieder passt.“

„Pass auf, dass Dein Schlüpfer nicht über den Dress rutscht!“, rief der Götterbote dem Zeuse im Vorbeirennen zu.

„Und außerdem“, fiel Hera ihrem Gemahle ins Wort, „wird es beim nächsten Fest wieder eine Band geben. Musik und Tanz. Das hält uns in Bewegung und vom übermäßigen Essen ab.“

„Jawoll!“, bekräftigte der Herrscher des Olymp.

Ein Jeder jubelte zustimmend. Nur des Göttervaters Tochter, die weise Athene schaute zweifelnd drein.

„Wisset, ihr Götter“, erklärte die Göttin der Weisheit, „und höret, was ich euch sage! Wer gleich nach dem Essen schläft, der nimmt an Gewicht zu. Klinische Studien fanden dies heraus im Lande der unbegrenzten Möglichkeiten.“

„Wo iss’n das?“ fragte Aphrodite.

„Amerika“, grummelte Ares. „Mein wichtigster Auftraggeber im Moment.“

„Genau“, gab Athene ihrem Bruder Recht. „Genau. Als die Diskussion und der Schmaus gestern aus dem Ruder liefen, mussten wir leider professionelle Hilfe holen. Es kam uns nichts Besseres in den Sinn, als Hypnos zu bitten, euch alle einschlafen zu lassen. Deshalb… nun, ihr wisst schon.“

Es stimmte der Zeus zu, denn er wusste um die Weisheit seiner Tochter.

„Ab sofort“, verkündete der Herr der Götter, „gibt es bei Feiern Essen nur noch bis acht. Dann…“

Mehr Worte waren ihm nicht vergönnt. Eine Musik, ein harmonischer Wohlklang von Harfen, Schalmein, Geigen und eine 1969er Fender Stratocaster, gezupft von einem linkshändigen Genie, hüllte den Mons Olympus ein. Nebel wallte durch das Tor der großen Halle, gleißendes Licht ließ den Eingang glühen.

„Haben Sie wieder über Nacht zugenommen?“, fragte eine überirdisch feine Stimme.

Es murmelten die anwesenden Götter und geladenen sterblichen Gäste zustimmend.

„Sind Sie es leid, am Morgen nach dem Erwachen einen Bauchansatz zu finden, wo tags zuvor noch ein bretthartes Sixpack war?“

Erneut erhob sich ein Raunen der Zustimmung. Nur der Gott des Krieges brach einmal mehr in Tränen aus.

„Hochwissenschaftliche Studien führender Pharmaunternehmen haben erwiesen“, fuhr die Stimme fort, „dass zu viel Essen zu kurz vor dem Schlafen gehen für die Gewichtszunahme verantwortlich ist. Kein Sport kann dem entgegenwirken. Nur eiserne Disziplin beim Abendmahl. Aber…“

Der Nebel teilte sich und ein Mann trat hervor. Er war nicht groß, eher untersetzt. Ein langes Gewand ähnlich einem Nachthemd bedeckte seinen Körper und ein Diadem mit Schmetterlingsflügeln schmückte sein Haupt.

„…die Hypnos AG hat in langer und intensiver Forschung das Mittel entdeckt, das einem jeden Menschen oder Gott einen angenehmen Schlaf ohne Gewichtsprobleme beschert: Schlummerstaub light – zuckerfrei und kalorienarm.

Sie glauben mir nicht? Überzeugen Sie sich selbst!“

Der Mann im Nachthemd, Hypnos, Gott des Schlafes und Vater der Träume, winkte und der Nebel hinter ihm wallte auf, bildete eine undurchdringliche, weiße Wand. Wabernd erschien ein Bild. Ein Mann, hochgewachsen, hager und von düsterer Erscheinung erhob sich von seinem Bett und erklärte mit tiefer Stimme:

„Ich führte gestern Abend mein Weib, die liebreizende Persephone, zum Essen aus. Wir speisten reichlich, opulent. Ich sah mich schon vor meinem inneren Blick träge und mit einem Bauch meine Schlafstatt verlassen. Doch dank der neuesten Erfindung der Hypnos AG, dank Schlummerstaub light gehören solche Ängste nun der Vergangenheit an. Schauen Sie!“

Der finstere Mann wies auf seinen Körper.

„Kein Gramm Fett verirrte sich in der Nacht zu mir. Und zu meinem liebreizenden Eheweibe auch nicht.“

Der finstere Mann wandte sich halb dem Bett zu und unter der Decke blinzelte eine haselnussbraune Schönheit hervor. Die Nebelwand löste sich auf und im schwindenden Dunst konnten die Zuschauer sehen, wie Persephone wütend mit den Augen funkelnd und mit einem Nudelholz bewaffnet zwischen ihren Gatten und die haselnussbraune Schönheit trat.

Der Träume Vater breitete die Arme aus.

„Würde ein Gott wohl lügen, meine Damen und Herren? Würde ein Gott über so etwas Wichtiges wie das Körpergewicht und sein göttliches Aussehen lügen? Sein Sie ehrlich: Können Sie glauben, dass ein Gott über seine Erscheinung die Unwahrheit sagen würde?“

Es gab niemanden auf dem Olymp, der auch nur im Traume daran gedacht hätte, ein göttliches Wesen würde gutes Aussehen nur vorspiegeln, denn die Göttlichen sind eitel. Ein jeder, der sich an des Paris Urteil erinnert weiß dies.

„Besiegen Sie Ihr Gewicht im Schlaf“, proklamierte der Gott des Schlafes. „Bestellen Sie noch heute den Schlummerstaub light der Hypnos AG. Für einen leichten Schlaf und ein noch leichteres Erwachen.“

Es herrschte Stille auf dem Olymp, tiefstes Schweigen. Dann plötzlich brachen alle Götter in donnernden Applaus aus, in brachialen Jubel, in wildes, ohrenbetäubendes Freudengeschrei. Es war ihnen, als wären ihre stummen Gebete erhört worden, wenngleich kein Gott je gebetet hat.

Auf Hypnos‘ Gesicht stahl sich ein erfreutes, strahlendes Lächeln.

„Hatt’s euch gefallen? Ich will mit dem Spot ins Fernsehen. Glaubt ihr, das funktioniert?“

***

Es hat funktioniert. Zeus und Konsorten bestellten sofort den kalorienreduzierten Schlafsand und auf der wunderschönen kleinen Sonneninsel Hamumba lief die Hypnos-Werbung fast rund um die Uhr. Auch der Schlummerstaub light wurde dort gekauft, denn ihr Menschen seid nicht weniger eitel als die Götter und wollt nicht mit einer Bierplauze in der Sonne liegen.

Einmal, dieses eine Mal nur, hatte Hypnos eine wirkliche Marktlücke entdeckt und sie ausnutzen können. Natürlich gibt es seinen „Schlummerstaub light“ nicht wirklich. Schlafsand enthält weder Zucker noch Kalorien. Niemals, glaubt mir. Aber wenn man eine Sache richtig verkauft, den Leuten anbietet, was sie wollen, glauben sie selbst solchen Unsinn. Das gilt für euch Menschen ebenso wie für die Götter des Olymp.

Und es half. An die Wirkung des Wundermittels glaubend und unter dem harten Training der Artemis kamen die Götter bald wieder in ihre alte Form. Zeus konnte wieder die Unterhose überziehen und mit flatterndem Cape die Welt retten. Hera stolzierte in ihrem nagelneuen Pfauenmantel über die Boulevards der großen Städte dieser Welt. Ares… Ares musste erkennen, dass sein größter Auftraggeber auch ohne ihn Krieg führen kann. Nach einer kurzen Identitätskrise eröffnete er eine Bäckerei in Stuttgart.

Und was lehrt diese Geschichte? Genießt das Leben, ihr Menschen, feiert und esst auch. Aber vergesst nicht zu tanzen, um die Kalorien eures Mahls wieder zu verbrennen. Und bestellt die nächste Geburtstagstorte bei Ares. Der arme Junge braucht ein Erfolgserlebnis.

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