DIE GÖTTER

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Silvester

Wenn Du ein Gott bist, hast Du viel zu tun. Zeus düst als Superheld durch die Welt und rettet die Menschheit, Hera wäscht seine Unterhosen (wenn man den Schlüpfer über den Hosen trägt, wird er schnell schmutzig), Hermes hat alle Hände voll, die Kommunikations- und IT-Abteilung in Gang zu halten, damit Rom und die bayrische Landesregierung meine göttlichen Ratschlüsse und –schläge empfangen, Hypnos joggt als Sandmännchen durch die Gegend, Thor … Nun gut, Thor hat noch den leichtesten Job. Als Kriegsgott wird er im Augenblick nicht mehr benötigt. Das bekommt ihr Menschen ganz gut alleine hin. Also donnert und blitzt er fröhlich in der Gegend herum. Da Zeus täglich und rund um die Uhr die Welt rettet, donnert Thor für ihn mit, aber genau genommen hat er eher sein Hobby zum Beruf gemacht. Thor donnert für sein Leben gern.

Es war ein Sonntag im Dezember des 2012. Jahres nach dem Zeitpunkt, der gemeinhin mit der Geburt meines Sohnes in Verbindung gebracht wird, als es an meiner Tür klopfte.

„Es ist Sonntag!“, rief ich grummelnd. „Sonntag! Der siebente Tag! Am siebenten Tag ruhte …“

Ein Mann grinste mich an, als ich die Tür aufzog. Ein Mann, hochgewachsen, breitschultrig, ein dichter Bart umgab sein Kinn. Von seinen Schultern wallte ein Cape, seine Brust zierte ein Blitz und er trug den Schlüpfer über der Hose. Zeus.

„Am siebenten Tag ruhtest Du, Junge, ich erinnere mich.“

Zeus grinste und lief an mir vorbei, ließ sich auf das Sofa fallen, griff in seinen Umhang und zauberte ein Amphörchen hervor. Wenn ich schon meinen Ruhetag hätte, könnten wir auch ein griechisches Weinchen trinken, meinte der alte Olympier. Dann streckte er die Beine aus und schloss die Augen.

„Was’n los?“, fragte ich.

„Ach, nur Stress. Der Beruf … Ist nicht einfach, die Welt zu retten. Pfff …“

Es dauerte drei Sekunden, bis der alte Mann eingeschlafen war. Ja, ein Gott zu sein ist manchmal anstrengend. Es war dieser Augenblick, in dem ich den Entschluss fasste, eine Party zu schmeißen, um die Mädels und Jungs aus ihrem Alltagstrott zu holen. Eine nette kleine Silvesterparty. Ganz in Familie sozusagen. Na ja, Familie ist relativ.

„Eine nette kleine Party“ ist auch relativ. Sie kamen alle: Odin, Zeus, Freia, Hera, Herakles und Thor … Selbst die im westlichen Kulturkreis weniger bekannten Kollegen aus den Landen der Kelten und Asiens waren zugegen. Um alle einzubinden und damit für jeden etwas da ist, rief ich auf, jeder möge irgendetwas mitbringen. Eine „Bring your own food“-Party würdet ihr Menschen es wohl nennen. Es war also eine gut besuchte Party. Zum Glück bin ich flexibel in Bezug auf die Raumgröße. Interessanterweise gibt es auf solchen Partys immer seltsame Diskussionen. Diskussionen, von denen hinterher niemand mehr weiß, wie sie eigentlich begannen. Diskussionen, deren Sinn die Diskutierenden eigentlich von Anfang an nicht durchblicken. So wie bei mir:

„Was feiern wir eigentlich?“

Athene, die sonst so kluge Tochter des Obergriechen, hatte es schon immer schwer, in eine Party einzutauchen.

„Eine Party, Töchterchen“, lallte Zeus, der zu jenem Zeitpunkt schon ein Hörnchen Met zu viel getrunken hatte, lachend.

„Wir feiern das neue Jahr, Madame“, warf Charles ein. Charles war früher Butler im Buckingham Palace. Er diente dort nur drei Monate, bevor er auf einer Bananenschale ausrutschte. Seither hilft er mir, wenn Gäste im Hause sind.

Charles‘ Bemerkung war wiederum nicht geeignet, Athenes Verwirrung auszuräumen.

„Das neue Jahr? Ach so! Ach …“, murmelte sie. „Aber … aber warum feiern wir das neue Jahr? Zeit hat für uns doch keine Bedeutung!“

Ich hob den Finger, als wollte ich zu einer Erklärung ansetzen, hielt aber inne. Warum feierten wir, die wir Götter und prinzipiell zeitlos sind, das neue Jahr? Ich wusste es nicht. Aber darüber nachzudenken, war auch nicht nötig, denn die Diskussion nahm ganz plötzlich eine völlig andere Richtung.

„Ist außerdem ein bisschen spät, das neue Jahr zu feiern!“

Der Mann, der die lautstark lachend in die Runde brüllte, war Lugh, der Leuchtende. Der alte Ire nahm einen großen Schluck aus seinem Becher, machte ein Bäuerchen und grinste in die Runde.

„Walum meinen zu spät sein?“, fragte ein kleiner Chinese.

„Weil die Wintersonnenwende schon vor 9 Tagen war. Das Jahr ist also bereits eben jene 9 Tage alt.“

Ich schloss die Augen, seufzte und ließ den Kopf nach vorne sinken. Wunderbar! Eine Grundsatzdiskussion. Und niemand würde hinterher wissen, warum diskutiert wurde oder warum wir ausgerechnet heute das neue Jahr feierten.

„Eigentlich“, piepste der kleine Chinese, „sein zu flüh für neues Jahl. Jahl del Schlange beginnen an neunten Feblual.“

„Ach, was wisst ihr Chinesen schon von Neujahrsfesten?“, lachte Lugh und klopfte dem Kleinen auf die Schulter.

„Wil wissen machen gloße Feiel mit Umzügen, viel Musik und gloßen Dlachen.“

„Oh!“

Damit schien Lugh elst einmal – Verzeihung: erst einmal – zufrieden zu sein. Die Chinese verstehen es also, eine Neujahrsfete aus dem Boden zu stampfen.

„Wil auch machen gloßes Feuelwelk“, ergänzte der kleine Chinese stolz. „Will …“

„Wir haben’s verstanden! Ihr wisst, wie man feiert“, grummelte jemand hinter mir. „Aber warum feiern wir heute das neue Jahr? Der Ire hat Recht. Die Wintersonnenwende war schon.“

Ich drehte mich um und sah Thor an. Der blonde Nordmann blickte ähnlich verwirrt drein wie Athene. So neugierig und wissbegierig hatte ich ihn noch nie erlebt. Thors Verwirrung brachte mich irgendwie aus dem Konzept. Ich sah mich hilfesuchend um, erntete aber nur fragende Blicke und das Kichern zweier Gestalten in einer dunklen Ecke. War so klar! Die beiden L’s – Lucifer und Loki. Würde mich nicht wundern, wenn einer der beiden die Diskussion angezettelt hätte. Ich seufzte erneut und schüttelte den Kopf.

„Ja, ist ja gut! Ich erklär ’s euch. Eigentlich ist das Quatsch. Eigentlich ist am 24. Dezember Schluss, wenn Junior Geburtstag hat.“

Ich sah zu Jesus rüber und konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen, als ich sah, was für ein angesäuertes Gesicht er zog.

„Du sollst mich doch nicht immer Junior nennen, Papa!“

Ich grinste weiter und fuhr mit meiner Erklärung fort:

„Am 6. Januar fängt dann das neue Jahr an. Eigentlich. Aber der blöde Gregor musste den Kalender umstellen und festlegen, dass das Jahr am 31. Dezember endet und am 1. Januar das neue beginnt. So einfach ist das.“

„Und?“, fragte Thor.

„Und was?“

„Na hast Du dem Gregor was hinter die Ohren gegeben?“

Ach Thor … Immer so aufbrausend. Allerdings war das, was ich jetzt zugeben musste nicht zwingend angenehm.

„Das ist ja das Blöde, ich konnte nichts tun. Schließlich war Gregor seinerzeit der Papst.“

„Ja, und?“

Blöd gelaufen, denn jetzt hatte Lucifer richtig Oberwasser. Sein Kichern steigerte sich zu hysterischem Gelächter. Loki fiel in sein Lachen ein.

„Lacht ihr über mich?“, grollte Thor.

Die L’s hielten sich die Bäuche und schüttelten die Köpfe.

„Du schnallst es nicht, was kleiner Bruder?“, lachte Loki.

Thor ergrimmte noch mehr. Über ihn zu lachen war schlimm genug. Ihn als dumm hinzustellen ist etwas, das man tunlichst vermeiden sollte. Dass Loki ihn seinen kleinen Bruder nannte, schlug dem Fass den Boden aus.

„Als Papst gilt sein Wort als das meines Filius“, gestand ich kleinlaut. „Also muss ich mich daran halten. Verdammte Axt!“

Es klapperte metallisch, als ein Wikingerkrieger hinter Thor hervortrat und mir seine Streitaxt reichte. Thor strahlte stolz darüber, dass seine Jungs so mitdachten.

„Lass gut sein“, murmelte ich und winkte ab. „Lass gut sein.“

Der Wikinger sah mich verwirrt an. Im Zimmer machte sich Stille breit, so laute Stille, dass die Stecknadel, die Hera fallen ließ, ein schrilles Pfeifen in meinen Ohren hinterließ. Ich hätte die Diskussion an dieser Stelle beenden können, wenn ich gefragt hätte, warum bei Hades Hera eine Stecknadel mitgebracht hatte. Aber schlagfertige Reaktionen kommen auch den Göttern manchmal erst dann in den Sinn, wenn es zu spät ist.

„Also bist Du Schuld, Junge!“, lachte Zeus plötzlich laut durch den Saal. „Hättest Deinem Sohn erklären sollen, dass man erst denkt und dann redet. Dann wäre uns das jetzt erspart geblieben.“

Das sagte der Richtige. Der, der erst zu fremden Frauen ins Bett stieg und dann darüber nachdachte, Vorkehrungen zu treffen, damit die holde Gattin es nicht erfuhr.

„Genau!“, grölte Thor. Thor, der sich erst den Bauch mit Äpfeln vollschlug, um jung und dynamisch zu wirken, und dann darüber nachdachte, warum er Bauchschmerzen hatte. Ich erzählte die Geschichte schon.

„Wer mit Frauen verkehrt, bevor er nachdenkt“, grummelte ich den Griechen an, „sollte sich nicht wundern, wenn die Gattin verstimmt ist.“

Hera blickte auf, dachte kurz nach und nickte anerkennend in meine Richtung. Zeus schwieg betroffen. Volltreffer! Genau auf die Zwölf. Gerade schien es, als würde die Lage aus dem Ruder laufen, als Dionysos rettend einsprang.

„Kinder“, rief er, „ist es nicht vollkommen egal, warum wir feiern, solange wir nur irgendeinen Grund zum Feiern haben? Wo ist das Problem, ihr Lieben?“

Die Stille vertiefte sich, um dann so plötzlich wie die Schöpfung in Jubelrufe umzuschlagen. Just in diesem Augenblick ertönte ein lautes „Gongggg“. Es war Mitternacht. Das alte Jahr war vorbei, das neue Jahr hatte begonnen. Lugh, der alte Ire hub zu singen an: „Should auld acquaintance be forgot…“ Wir anderen stimmten ein. Als das Lied zu Ende war, blickten sich Zeus und Thor an.

„Es gibt einen hübschen Brauch bei den Menschen“, erklärte Zeus feierlich. „Feuerwerk. Komm, Thor mein Junge.“

Die Donnergötter gingen auf den Balkon und machten, was sie am besten konnten. Sie donnerten und blitzten, dass es eine wahre Pracht war. Ich wollte mich nicht lumpen lassen, trat zu ihnen und hob die Hände. Feurige Meteoriten regneten vom Himmel und alle freuten sich.

Alle? Nicht alle. Als wir gerade unser Feuerwerk veranstalteten, unterbrach uns eine mürrische Männerstimme.

„Also erstens“, sprach ein Mann mit Federn am Kopf, ein Maya wohl, „finde ich es nicht schön, dass ich nicht eingeladen wurde. Ich bin da jetzt menschlich sehr enttäuscht. Zweitens: Was zum Kolibri soll der Feuerregen? Der war für den 22. Dezember angesagt! Nur weil ihr da gepennt habt, musste ich den Weltuntergang absagen! Warum um alles in der Welt kommt ihr ausgerechnet jetzt damit?“

Ich blickte mich ratlos um und erntete ebenso ratloses Schulterzucken von allen anderen.

„Wie? Nicht eingeladen? Stand doch bei Facebook!“, gab ich zurück. „Aber mit dem Feuerregen hast Du Recht, mein Freund. Verdammte Axt!“

Es klapperte metallisch. Hinter Thor trat ein Wikingerkrieger hervor und überreichte mir seine Streitaxt.

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