DIE GÖTTER

Mordreds Tales Mordreds Tales

Aphrodite geht ins Beautybusiness

„Liebes, wie sehen Sie denn aus? Das geht ja gar nicht!“

Die Eigentümerin des Beauty-Clubs fiel aus allen Wolken, als Maggie durch die Tür trat. Wilde Krausen schmückten den Kopf dort, wo man normalerweise einen vollen, glatten Haarschopf vermuten würde. Maggies Lippen leuchteten rot wie ein Sonnenuntergang in der Karibik. Leider war die Ähnlichkeit größer als beabsichtigt, da die Oberlippe tatsächlich einen einfachen Bogen nach oben beschrieb. Die nussbraunen Augenlider schimmerten blau wie der Himmel an einem wolkenlosen Tag. Kurzum: Überall war's zu viel des Guten. Nur bei den Haaren nicht.

„Ich weiß“, jammerte Maggie. „Ist alles voll daneben gegangen. Und in einer halben Stunde soll ich als Brautjungfer in der Kirche sein.“

„Oha!“, seufzte die Herrin des Salons. „Da haben wir eine Menge zu tun. Hallo erstmal! Ich weiß nicht, ob Sie es wussten, aber mein Name ist Aphrodite. Kommen Sie, Liebes, wir klöppeln Ihr Äußeres so hin, dass Sie die Braut sein könnten.“

Ein verlegenes Lächeln stahl sich auf Maggies Lippen. „Brautjungfer reicht. Ich will ja den einen oder anderen von den Freunden des Bräutigams abschleppen.“

Worum es eigentlich geht, wollt ihr wissen?

Nun, von Zeit zu Zeit brauchen auch Götter mal einen freien Tag und da meine persönliche Anwesenheit nicht immer notwendig ist, statte ich der guten alten Erden ab und zu einen Besuch ab. Es war im Frühjahr des Jahres 2012 nach Christi Geburt, als ich die Stadt besuchte, die die Einheimischen den Big Apple nennen. Ich verstehe diesen Namen bis heute nicht, sieht doch New York einem Apfel in keiner Weise ähnlich.

Nebenbei bemerkt: Ihr Menschen sollte eure Zeitrechnung überprüfen, denn meine Sohn wurde schon im Jahre 7 vor eurer Zeitrechnung geboren. Da niemand vor seiner Geburt geboren sein kann und ihr eure Jahre ab der Geburt meines Sohnes zählt, wäre das Frühjahr 2012 eigentlich das Früjahr 2019. Und bevor mich jemand einen Klugscheißer nennt, denke er darüber nach, ab das klug wäre. Nur für den Fall, dass er seine nächsten Pläne auch in die Tat umsetzen will.

Ich schweife ab. Wo waren wir?

Ah, ja. New York, eine Stadt voller Gegensätze. Banken und ungeheurer Reichtum auf der einen Seite, Armut, Not und Verbrechen auf der anderen. Oh nein, bitte, mich nicht falsch zu verstehen. Ich werfe keineswegs die Armen und Bedürftigen in den Verbrechenstopf. Selbiges findet man genauso an der Wall Street. Es geht nur darum, dass es in New York gewaltige Höhen und tiefe Abgründe gibt.

Eine dieser gewaltigen Höhen sah ich in der Bronx, als ich beobachtete, wie ein Mann, der gerade seinen Job verloren hatte, einem Obdachlosen einen Hamburger ausgab. Dagegen war ein wohlgekleideter und wohlgenährter Banker aus Long Island nicht einmal in der Lage war, einem Kellner ein Trinkgeld zu geben.

Und in der Bronx war es, wo eine alte Bekannte wahre Göttlichkeit zeigte.

Vor ein paar Jahren besuchte mich Aphrodite. Die Schaumgeborene. Die wunderschöne Aphrodite, die so vielen Männern den Kopf verdrehte. Zugegebenermaßen hielt mich auch nur der Umstand davon ab, mich tiefer auf Zeus' Tante einzulassen, dass Ihr werter Gatte einen ziemlich heftigen und fiesen Hammer schwingt. Legt euch nie mit 'nem Schmied an! Guter Rat nebenbei. Bei ihrem letzten Besuch allerdings war sie ziemlich niedergeschlagen.

„Ich weiß nicht, was ich anfangen soll“, seufzte sie. Nein, sie weinte beinahe.

„Was'n los?“, fragte ich unsicher, was meine alte Freundin bedrückte.

Aphrodite ließ sich in den Sessel fallen. Sie seufzte, betrachtete ihre Fingernägel, seufzte erneut, sah auf ihre Füße und seufzte ein drittes Mal. Ich sah ihre Finger an, fand ihre Zehen so allerliebst wie vor tausend, fünftausend und sogar zwölftausenacht Jahren. Ich zog einen skandinavische Stuhl neben den Sessel, setzte mich, schloss kurz meine rechte Hand, öffnete sie wieder ein Stück und reichte der Schaumgeborenen eine Tasse.

„Hier, nimm erstmal 'nen Kaffee. Und dann erzähl mir, was los ist.“

Aphrodite seufzte erneut. Dann schwieg sie, um das Schweigen nach gefühlten 5 Minuten durch einen weiteren Seufzer zu unterbrechen. Allmählich wurde die Kaffeetasse in meiner Hand heiß.

„Kaffee?“, fragte ich noch einmal vorsichtig.

Die Schaumgeborene blickte auf und sah mich verwirrt an. Ich hielt ihr die Tasse vor ihre Nase.

„Oh! Danke!“

Ich goss mir auch eine Tasse des koffeinhaltigen Aufgusses gerösteter kolumbianischer Früchte ein und setzt mich Aphro, wie ich Zeus' Tante als junger Gott immer nannte, gegenüber.

„Erzähl mal, Liebes! Was ist los?“

Aphro nahm einen Schluck Kaffee und klagte mir dann ihr Leid: „Keiner mag mich!“

„Ich mag Dich. Bin ich etwa keiner?“

„Ja ... nein ... na ja ... Das ist was anderes.“ Aphro hatte schon immer ein Händchen dafür, die Männer zu verwirren. Diesmal lag es aber nicht an ihren Charme sondern an ihren etwas wirren Worten. Ich verkniff mir ein „Hä?“ und sah sie aufmerksam an.

„Na ja, Du bist 'n Gott. Das zählt nicht.“

Ich lachte. „Du benimmst Dich wie die Menschen. Tust, als wäre wir Götter nicht da.“

„Hä? Menno, Gott! Ich meine doch die Menschen. Keiner redet mehr mit mir. Mit den anderen auch nicht. Die Tempel werden nur noch begafft und keiner ruft mehr nach uns. Du hast es gut. In Deine Tempel gehen die Leute noch. Und wenn nicht, reden sie so mit Dir. Und wir? Hera, Athene, Artemis? Nur noch Hollywoodfiguren! Und ich darf nie mitspielen. Menno, ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich fühle mich so nutzlos.“

Ja, das war jetzt wirklich blöd gelaufen für die arme Aphro.

„Weißt Du, was Athene macht?“

Aphro schüttelte den Kopf.

„Sie schreibt Kolumnen, lässt die Menschen auf diese Weise immer noch an ihrer Weisheit teilhaben.“

Ein Tränchen lief über das wunderschöne Frauengesicht. „Aber ich kann nicht schreiben“, schniefte die Göttin. „Zumindest nicht inhaltsschwer und voll Weisheit.“

„Beautytipps?“

„So profan. Außerdem machen das so viele.“

„Versuch's mit 'nem Modelabel.“

„Nee ... oder ... DOCH!!! Anziehsachen sind schön und mit schönen Dingen kenne ich mich aus.“

Dem konnte und kann ich nicht widersprechen. Aphrodite weiß wirklich, was schön ist. Nur hat sie leider nicht den blassesten Schimmer vom Marketing. Oder kennt ihr „Aphrodites Dreams“? Anderthalb Jahre später saß Aphro eines schönen Sonntags wieder bei mir, diesmal noch deprimierter, weil das Fashionlabel nicht lief und niemand an ihren Unterwäscheentwürfen interessiert zu sein schien. Drei Monate später präsentierte ein anderes Label Aphros Entwürfe mit wunderhübschen Dessousmodels, die engelsgleich schwarz und rot geflügelt über den Katzengang liefen.

Wir saßen also erneut da, tranken Kaffee (100% Arabica) und beratschlagten, was Aphro wohl machen könnte. Eine Modelkarriere? Eine Casting-Show? Ein Medizinstudium und dann Schönheitschirurgie?

Nein, Aphrodite wollte nicht noch mal zur Schule gehen. Außerdem sieht sie nicht gerne Blut. Genauso wenig fühlte sie sich zum Fernsehen berufen.

Aphros Augen wollten sich gerade wieder mit Tränen füllen, als es klingelte. Wer mochte das wohl sein? Nichts dienstliches hoffentlich! Am siebten Tage ... Na Ihr wisst schon.

Ich öffnete und erblickte Athene, die beinahe genauso aufgelöst schien wie Aphrodite. Na prima.

„Ich brauche Hilfe“, begrüßte die Göttin der Weisheit mich prompt noch bevor ich dazu kam, irgendetwas zu sagen.

„Jaaaa ...“, antwortete ich vorsichtig.

„Hephaistos meinte, seine Frau wäre bei Dir zu Besuch.“

„Jaaaaaa ...“

Athene stürmte an mir vorbei. „Prima! Ich soll in 30 Minuten in einer Talkshow auftreten und meine Frisur passt überhaupt nicht. Schau Dir das an!“

„Schön, auch Dich zu sehen, Athene!“

Doch die weise Athene schien keine Zeit zu haben, mich richtig zu begrüßen. Sie hatte einen Termin und war in Eile, rannte direkt in mein Wohnzimmer, aus welchem auch sofort ein erschrockener Aufschrei zu hören war.

„Meine Güte, wie siehst Du denn aus!“, rief Aphrodite entsetzt. „Was hast Du denn mit Deinen Haaren gemacht? Soll das eine Dauerwelle sein? Und wer hat Dir DIESE Farbe angetan? Mein Gott!“

Ich habe keine Ahnung, was ich damit zu tun haben sollte, hielt es aber für schlauer, dies auch nicht zu hinterfragen. Aphrodite bat mich um Schere, Kamm, Bürste, Wasser, Seife und schließlich darum, dass ich die Damen alleine lasse.

„Am besten ist, ihr geht ins Bad. Da findet ihr, was ihr braucht.“

Die Frauen verschwanden im Badezimmer und ich nutzte die Gunst des Augenblickes, um mir etwas Ruhe und Entspannung zu gönnen, wie es sich für den siebten Tag gehört. Ich streckte meine Hand nach Kuba aus, rückte mir die Sonne zurecht und machte es mir mit einer Zigarre bequem. Zwanzig Minuten später verließen zwei von Grund auf veränderte Frauen mein Badezimmer. Athenes Haare hingen schwungvoll in langen Wellen über ihre Schulter. Dankbar küsste sie ihre Großtante auf die Wange, winkte mir zu, rief irgendetwas wie „Kurz nach elf bei Letterman!“ und verschwand eiligst.

Aphrodite wiederum strahlte über beide Ohren. „Ich weiß, was ich mache“, sagte sie. „Ich mache einen Schönheitssalon auf. Die Leute verüben so viele Verbrechen an Haut und Haaren, da muss man was gegen tun! Danke, mein Lieber, dass Du für mich da warst. Mal wieder.“

Sprach's, küsste meine Nase und verschwand.

Aphro hatte diesmal mehr Glück. Kurz vor der Oscar-Verleihung - ziemlich genau eine halbe Stunde vor Beginn der Veranstaltung - entdeckte ein Hollywoodsternchen einen Pickel direkt auf der Nase, der 2 Minuten vorher nicht da war. Aphrodite war „zufällig“ vor mit ihrem mobilen Beautysalon vor Ort (ich riet ihr dazu) und verpasste der Kleinen auf gleich eine ordentliche Frisur. Das Beautygeschäft läuft.

Aber das war nicht das, womit die Schöne ihre Göttlichkeit bewies. Es war etwas anderes, was unter den Menschen nur allzu oft nicht sehen ist:

Ihr erinnert euch an Maggie, die in einer halben Stunde als Brautjungfer in der Kirche sein musste? In der Bronx? Maggie bekam das Rundumsorglospaket. Sie wollte eigentlich nur, dass die Haare sitzen, weil sie sich mehr nicht leisten konnte. Aphro lächelte nur.

„Lass mich machen, Liebes“, sagte sie, „und mach Dir keine Sorgen ums Geld. Geht aufs Haus. Hier geht's aufs Haus.“

weiter
zurück