DIE GÖTTER

Mordreds Tales Mordreds Tales

Zeus wird Superheld

Das Götterbusiness ist kein einfaches. Das muss an dieser Stelle einfach gesagt werden. Wer da denkt, ein Gott säße nur auf seinem hohen Throne und baumelte mit den Beinen, der irrt.

Götter haben Macht. Viel Macht. Beinahe unbegrenzte Macht. Und mit großer Macht geht große Verantwortung einher. Beinahe unbegrenzter Macht folgt demnach auch beinahe unbegrenzte Verantwortung. Ich habe nicht umsonst einen so großen Verwaltungsapparat und eine Botschaft auf der Erde.

Der Alltag eines jeden Gottes besteht darin, sich mit seinen Anhängern zu beschäftigen. Hier eine kleine Bitte, dort ein Gebet – selbst die „Götter des Bösen“ müssen sich diesen Problemen stellen. Herrscht Krieg, so bittet der Gläubige seinen Gott oder den für dieses Ressort zuständigen Gott seines Pantheons um den Sieg. Jünger der Finsternis erbitten von ihrem Herrn und Meister Macht. Der Bauer bittet um Regen und Sonne zur rechten Zeit. Um solche Dinge muss man sich kümmern, will man als Gott im Geschäft bleiben.

Natürlich kann man nicht jedem Menschen seinen Willen erfüllen. Aber wenn man sich überhaupt nicht um seine Anhänger bemüht, laufen sie weg. Sie gehen zur Konkurrenz oder verlieren vollständig und allgemein den Glauben an uns Götter.

Nehmt die alten Griechen als Beispiel:

Wann war das letzte Mal ein Mensch im Tempel, um dem großen Zeus ein Opfer darzubringen? Wann vernahm Aphrodite zuletzt das Flehen einer jungen Dame, auf dass der angebetete Nachbarsjüngling doch endlich ihre Liebe erhöre? Niemand fragte mehr die weise Athene um Rat. Ares hockt Tag für Tag auf seiner Bude und schmollt, weil die Kriege ohne ihn stattfinden. Herakles wird nur noch alle vier Jahre tätig, wenn die Olympischen Spiele abgehalten werden, deren Stifter er ja war. Die Winterspiele sind ihm zu kalt. Deshalb hält er sich dort raus. Kein Ehepaar dankt mehr der Hera, nachdem die Eheleute den Versuch unternahmen, einen Erben zu zeugen.

Es irrt wiederum der, der die Götter über diesen Problemen stehend wähnt. Es ist zwar richtig, dass der eine oder andere Gott die Schultern darüber, dass er keine Anhänger mehr hat, zuckt, die meisten Götter beschäftigt es aber sehr, dass sie niemand anruft. Apollon verarbeitete dies auf seine Weise und inspirierte Dichter zur Schöpfung des schönen Liedes „Kein Schwein ruft mich an“. Der Dichter wiederum interpretierte das Thema auf seine eigene Weise, so dass die göttliche Tragik des Apoll in dem Liede nicht verkam.

Einzig Göttervater Zeus machte sich ernsthafte Gedanken. Nachdem er ein paar Jahrhunderte das süße Leben genossen und den Umstand, nicht mehr im Rampenlicht zu stehen, genutzt hatte – da sich niemand um die alten griechischen Götter kümmerte, erfuhr niemand, auch nicht Zeus’ Eheweib Hera, mit wem der Alte sich wieder rumgetrieben hatte – erfasste ihn eine gewisse Wehmut. Es fehlte ihm doch ein wenig, nicht mehr beachtet zu werden. Zeus fühlte sich nutzlos.

Aber Zeus wäre nicht Zeus, wenn er das Heft nicht in die eigene Hand zu nehmen versuchen würde. Als ich vor wenigen Jahren dem Olymp einen Besuch abstattete, sah ich, dass der Göttervater auf der Treppe saß und stumm vor sich hin brütete. Seine Antwort auf meine Begrüßung war nur ein geistesabwesend gemurmeltes „Hallo!“ Gerade wollte ich fragen, was los sei, als Zeus aufsprangt und die Treppe hinunter in Richtung Erde stürmte.

Zwei Tage später kam Zeus zurück, teils verzückt, teils grübelnd dreinblickend. Hera und ich diskutierten gerade über Strickmuster, als der Göttervater einem Sturmwind gleich über den olympischen Boden fegte. Hera grummelte, sie wolle eigentlich gar nicht wissen, wie viele Damen Zeus diesmal besucht habe, dieser aber gab bereitwillig Auskunft.

„Ich habe nicht nachgezählt, meine Liebe, aber es waren Tausende und Abertausende.“

Hera holte tief Luft aber ich legte ihr beschwichtigend die Hand auf den Arm. Diese Zahl hielt ich selbst für den großen Zeus, das Dynamit unter den Männern, für etwas übertrieben. Es musste also etwas anderes dahinterstecken. Hatte er Wacken besucht?

Zeus holte sich einen Krug Wasser und setzte sich zu Hera und mir.

„Ich war auf der Erde“, begann er.

Zeus' Gattin und ich nickten. „Wissen wir schon“, antworteten wir unisono.

Zeus staunte über unser Wissen. Aber seinen Aufenthaltsort der letzten zwei Tage zu erraten, war wirklich nicht schwer.

„Und? Was hast Du da unten gemacht, alter Schwerenöter?“

„Äh … Ich habe mir bewegte Bilder angesehen. Auf einem großen Tuch“, gab der Göttervater zurück.

„Ja“, nickte ich, „die Bleichgesichter nennen das Kino. Hast Du zu viele Karl-May-Bücher geraucht?“

„Quatschkopf!“, murrte Zeus. „Bewegte Bilder klingt einfach schön altmodisch. Das ist das Problem mit den Menschen. Sie sind so modern, dass sie nur noch durch die Gegend hetzen. Schnell von einem Termin zum nächsten. Für ein bisschen altmodische Ruhe und Zeit zum Nachdenken und Reflektieren reicht 's nicht.“

„Aha!“

„Ungläubige Zweifler!“, murrte der höchste Olympier weiter.

„Dann kläre uns auf, oh mein weiser Göttergatte!“, verlangte Hera.

„In den bewegten Bildern“, begann Zeus seinen Bericht, „ging es um einen Lehrer mit modernen Ansichten in einer altmodischen Schule. Er stieg im Unterricht auf einen Tisch und sagte, er wolle alles aus einem anderen Winkel betrachten. Da ging mir ein Licht auf.

Ich wollte wissen, warum niemand mehr zu uns betet. Also veränderte ich meinen Blickwinkel. Ich machte mich klein, setzte mich auf die Straße.“

„Und was hast Du gesehen?“, fragte ich neugierig.

„Schweig, oh Vorlauter!“, schimpfte Zeus.

„Ich mag es, wenn Du so altertümlich schimpfst.“

Zeus bohrte einen Blick in meine Augen, der wütend sein sollte. Um ehrlich zu sein, hat er das verpatzt. Ich schwieg trotzdem und bedeutete ihm, er möge fortfahren.

„Also ich saß auf der Straße und sah einfach zu. Menschen strömten an mir vorbei, ohne von mir Notiz zu nehmen. Nur ein kleines Mädchen lächelte mich an. Ein paar Schritte weiter fiel einer Dame die Einkaufstüte aus der Hand. Sie bückte sich, um ihre Sachen aufzuheben. Niemand beachtete sie, niemand half ihr. Eher wurde sie beschimpft, weil sie im Wege war.“

„Lass mich raten“, unterbrach ich grinsend. „Du hast ihr geholfen und sie war dankbar.“

„Ja, das war sie“, lächelte Zeus. „Sie hat gelächelt und freute sich, dass es noch Menschen gibt, die sich um andere kümmern. Obwohl ich nicht weiß, ob ich sie bemerkt hätte, hätte ich nicht auf der Straße gesessen.“

Heras Blick verfinsterte sich. Selbst Zeus, der den finsteren Blick seiner Gattin gerne mal übersah, bemerkte das Funkeln in ihren Augen. Er nahm Heras Hand und lächelte sie an.

„Ich habe der Kleinen den Einkauf nachhause getragen und bin weitergegangen.

Ich hatte die Welt von unten gesehen und wollte jetzt noch das Gegenteil. Alles mal von oben betrachten. Natürlich aus der Sicht eines Menschen. Also habe ich einen Rundflug mit einer dieser Flugmaschinen gemacht.“

Zeus legte eine Pause in seinem Bericht ein und sah mich herausfordernd an, als wolle er sagen: Nun sag 's schon, Klugscheißer. Ich schwieg.

„Die Stadt“, fuhr der Göttervater schließlich fort, „sah aus wie 'n Ameisenhaufen. Tausende und Abertausende Menschen wuselten rum, ihre blechernen Vehikel“ - wieder wartete er ab, ob ich bemerken wollte, dass die Dinger Autos heißen, wieder schwieg ich - „reiten sich aneinander und verstopften die Straßen. Am Horizont verdunkelt Rauch den Blick auf die Stadt. Alles sah so unwirtlich aus. Als die Flugmaschine tiefer ging, sah ich ein Unglück. Einer dieser Eisenwagen kam von der Straße ab und purzelte in den Fluss. Da wusste ich, was ich tun musste. Tür auf, ins Wasser springen, die Menschen retten.“

„Und sie waren auch dankbar?“

„Natürlich. Jetzt wurde mir klar, wie ich die Menschen dazu bringen könnte, uns Götter wieder anzubeten. Wir müssen für die da sein. Ich machte mich also groß. So groß, dass jeder in der Gegend mich sehen musste und rief den Menschen zu, sie sollten ohne Furcht sein, denn ich, Zeus der Große, würde sie unter meinen Schutz stellen.“

Der alte Grieche sah Hera und mich selbstzufrieden an.

„Und wo ist der Haken?“

Zeus' Gesicht verfinsterte sich erneut ein bisschen. „Keiner hat mich bemerkt. Die Menschen gingen einfach an mir vorbei, hörten mir gar nicht zu.“

„Armer Schatz!“, säuselte Hera und ergriff die Hand ihres Gatten. „Komm mal mit, ich koche Dir was schönes.“

„Häh?“, wunderte sich der Göttervater.

Hera wollte gerade wieder mit den Augen blitzen, sah aber ein dass des olympischen Chefs Verwunderung nicht von ungefähr kam.

„Ja gut“; räumte die höchste Göttin ein, „ich lasse Dir was schönes kochen.“

„Hmmm … prima!“, freute sich Zeus, sah mich an und zwinkerte mir zweideutig zu.

Ich nickte lächelnd und wissend.

„Hast Du irgendwas aus Deinem Besuch da unten gelernt?“, fragte ich bevor ich ging.

„Klar!“, strahlte Zeus. Mit ehrfurchtsvoll gedämpfter Stimme fuhr er fort: „Nicht reden, handeln!“

Zeus zog seinen Mantel aus und stand in einem hautengen Dress in leuchtendem Rot vor. Auf der Brust prangte ein stilisierter Blitz überlagert von einem großen Z.

Erneut nickte ich. Anerkennend diesmal. Es war an der Zeit das Götterpaar alleine zu lassen. Aber eine Frage musste ich noch loswerden.

„Warum trägst Du den Schlüpper über der Hose?“

weiter
zurück