DIE GÖTTER

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Interludium – Theater

Man glaubt so oft, die Götter wären

hoch droben in den himmlisch' Sphären

nur ernst beschäftigt mit der Welt Gestaltung.

Doch lächzt's auch sie nach Unterhaltung.

Drum macht der Götter Kunstberater

so manches Mal auch Kunsttheater

und sucht Statisten und Akteure,

auf dass man das Theater höre

auf Erden und in Himmelsschichten.

Von einem Casting will ich berichten.

Es ward verkündet hoch droben im Olympe einst, dass die hohen Götter des Nordens, Odin Allvater, Freia, des Odins Weib, Thor, der große Donnerer, dessen mächtiger Hammer Mjölnir stets an seiner Hüfte hing – oder in seiner Hand lag um seinen Feinden Furcht und Schrecken zu bringen – und Sif, das gülden gelockte Eheweib Thors, zu Besuche kämen. Groß waren Freude und Aufregung unter den Olympiern, ihre Brüder und Schwestern aus dem hohen Norden wiederzutreffen. Einzig Heimdall durfte nicht Zeus und seine Geschwister und Kinder besuchen, war er doch zum Dienste am Bifröst, der Regenbogenbrücke, über die Götter und Menschen von Asgard nach Midgard und umgekehrt gelangen, verpflichtet.

So groß war die Freude unter den Göttern des Olymp, dass Göttervater Zeus ein großes Fest auszurichten befahl, bei dem neben Speis und Trank ein Theater aufgeführt werden sollte. So ward also Dramaticos, der helle Barde, aus der Unterwelt freigestellt, um ein solches auf die Bretter, die den Olymp bedeuten zu stellen.

Der Göttervater war, als er des hellen Barden Drama von dem Papyrusse las, begeistert. Ja, dies Meisterstück außerweltlicher Literatur sollte es sein. Gerade wollte er die großen wie kleinen Götter aufrufen, sich zum Spiele zu stellen, als er das Werk verstand und erzürnte. Doch Dramaticos gelang es, den Allmächtigen unter den Olympiern zu besänftigen, sollte doch ein Gott vom Formate des Höchsten auf dem Olympe über der Satire stehen und mit mit göttlichem Humore annehmen, was über ihn erdacht würde.

Doch ach! Wer sollte das Theater wohl spielen? Große wie kleine Götter aus aller Herren Himmel wollten teilhaben an diesem Großereignisse. Es galt drum, zu erwählen, wer denn die Bühne zu betreten die hohe Ehr' hatte.

Um aus all den vielen Tausend Mitstreitern die zu erwählen, die schließlich den hochverehrten Brüdern und Schwestern der Olympischen Schar die Geschichte des Dramaticos darbringen durften, beauftragte der Barde drei Götter, die berühmt waren dafür, in Kunst- und anderen Belangen Entscheidungsträger gewesen zu sein:

Ares, Gott des Krieges – immer schnell und hart bei der Sache, im (Wett-)Streite einen Sieger zu ermitteln. Der Kriegsgott war bekannt, stets lautstark und mit schlagenden Argumenten zur Tat zu schreiten.

Aphrodite, die Schöne – Göttin der Liebe und der Begierde. Aphrodite war stets dem zugeneigt, was schön war. Und dem, DER schön war. Mit Liebe behandelte sie jeden, ob Gott oder Mensch, der sie nicht eifersüchtig machte. Aus Schaum ward sie geboren, und wie die Gischt des Meeres umfing sie voll Leidenschaft, wen sie liebte.

Hönir, Bruder des Odin – gar wenig wusste man über ihn, doch priesen die Asen, die hohen Götter des Nordens seine Weisheit. Ein gar stiller Geselle war Hönir, doch ward er gerufen, zu richten, wer des Dramaticos Geschichte zum Besten geben sollte, damit diese dem Odin gar wohl gefalle. Den beseelenden Atem gab Odin den Menschen, Hönir jedoch den Geist.

Und so begab es sich nun, dass viele tausend Götter (und ein Halbgott, der von den fernen Zinninseln anreiste) um ihre Teilnahme an des Dramaticos Spiel buhlten.

Des Spieles Prolog

Gar zornig war Zeus. Auf dem Olympe war der Teufel los, wenngleich niemand wusste, wer eigentlich jener Teufel sei gewesen.

„Diesen verdammten Kerl schnappe ich mir! Frevler! Seine Tat erfüllet mich mit der Rache Gier!“ donnerte es auf infernalischste Weise durch den Olymp. Seine Blitze schnürte Zeus, der Göttervater, Herrscher des Olymp zu einem Bündel, setzte einen neuen, unverbrauchten Zündkeil darauf und rannte los. „Ich sehe nicht süß aus, wenn ich schlafe! Niedlich sind allenfalls wollige Schafe!“, schrie er Hera, seinem Eheweibe zu, noch ehe er mit Schritten, die sieben Meilen zu greifen schienen, des Himmels Gewölk verließ. Einen Augenblick nur war der Donnergott unaufmerksam und krachte gegen die himmlische Wand, dass es im himmlischen Geschirrschranke nur so scheppert.

„Du liebe Güte, was ist denn schon gescheh'n? Gar niemand hat Dich doch schlafen geseh'n.“ säuselte des Göttervaters Weib und Schwester ganz ohne Arg und kühlte die Beule an Zeus' Kopfe. „Einzig ich sah Dich in Morpheus Armen liegen. Poseidon griff ein und ließ die Griechen über die Trojaner siegen. Was also soll Dein Geschrei und Dein Zorn? Warum stoßest Du in Dein kriegerisch Horn?“

„Schweig still, Du Weib! Ich, der Zeus, bin in der Unterwelt, auf dass jeder es weiß. Hypnos ich kooooomme, Dich zu holen! Da hilft auch keine Flucht zu den Polen im Norden oder auch im Süden. Will auf der Jagd nach Dir nimmer ermüden. Ich bin der Herrscher und Du bist's nicht! Will strafen Deinen Frevel, Du elend Wicht!“

Hypnos, der Gott des Schlafes, Sohn der Nacht und Bruder des Thanatos, erfuhr nichts von all dem Trubel, der um seine Person geschah, ruhte er doch zu dieser Zeit in seiner Grotte in der Unterwelt ...

Es jubelten die, die zusahen, die Akteure verbeugten sich. Dramaticos, der große Dichter, bedankte sich bei denen, welche die Bühne mit Leben erfüllt hatten, er bedankte sich voll Überschwang bei den Jubelnden. Schließlich verneigte er sich voll Ehrerbietung vor den Richtern und fragte, wie denen die Darstellung wohl gefallen habe.

Eine Schnute zog Ares der Kriegsgott, rümpfte die Nase und sprach: „Also die Hera hat ja zumindest 'nen netten Bikini an. Aber der Zeus? Ich meine ... Also ehrlich! Soll ich Dir Zöpfe flechten? Vielleicht hättest Du die Hera spielen sollen. Das war ja gar nichts! Infernalischstes Donnern steht im Script, nicht Operettengesang!

Und Hera: Ey, Du bist 'ne heiße Schnitte! Also, Hera ist 'ne heiße Schnitte. Nichts für ungut, Mama, aber ist ja so. Also das einzige, was an Deiner Darstellung heiß war, sind Deine Klamotten.“

Beschämt schlang die junge Dame, welche die Hera gab, eine rothaarige Schönheit, welche den langen Weg von den Zinninseln kam, die Arme um ihren Leib und wandte sich ab.

„Ich ... ich dachte, man sollte einmal die feminine Seite des großen, glorreichen Zeus zeigen“, war, was zu stammeln der Mann, der des Göttervaters Rolle innehatte, und von welchem niemand sagen konnte, woher er wohl stamme, einzig in der Lage war.

Der Gott des Krieges, der selbst des Zeus Sohn ist, lachte, dass es die Grundfesten der Welt erschütterte. „Feminine Seite! HAHAHA! Zeus? Feminin? Denk nochmal drüber nach, Kleiner!“

Eine einsame Träne trübte den Blick des Mimen, doch war nun an Aphrodite, welche die Tante der beiden Dargestellten war, zu urteilen.

„Ich bin gerührt“, sprach die Schöne. „Ihr habt beide mit SOOO viel Gefühl gespielt. Also ich finde, ihr müsst einfach weiterkommen.“

Verlegen über das Lob spielte des Göttervaters Darsteller in seinen güldenen Locken. „Danke!“, flötete er leise. Verhalten kicherte die Maid von Zinninseln.

Doch fehlte ein Urteil noch. Hönir der Weise, Odins Bruder – auf ihm lagen nun alle Blicke, sein Urteil wurde in stiller Spannung erwartet.

„Jaaaaa ...“, sprach Hönir mit Bedacht, „Ich denke irgendwie, dass beide recht haben.“

Sprach's und schwieg still.

Das Bild der Bühne

Dramaticos, der hohe Dichter, begab sich hin zur Bühne, auf der das Spiel stattfinden sollte, um zu beaufsichtigen, wie das Bild gebauet wird, das darstellen sollt', die Heimstatt Hypnos', des gar mächtigen, wenn auch zu Zeiten etwas einfältigen Gottes des Schlafes.

Einen nackten Jüngling legte man auf weiche Kissen und setzte ihm zwei Flügel, welche aussahen wie die eines Schmetterlings, auf den Kopf.

Vom Handwerke begabte Künstler malten eine höhlenartige Grotte an die Wand. Heller Schein erleuchtete die Szene. Lärm, wie er erst wieder zu hören sein würde, wenn König Leonidas von Sparta dreihundert Spartiaten und eintausend Athener an den Thermopylen gegen den übermächtigen Xerxes, König der Perser, führte, erscholl.

„Zu laut und zu hell ist's!“, rief des Spieles Schöpfer erbost. „Man entlasse den Beleuchter und den Ingenieur des Tones!“

Und so geschah es. Audius, der Wächter des Tones, zuckte seine schmalen Schultern und reiste alsbald über das große Heim des Poseidon, um sich niederzulassen in Polis Angelos, wo er viele tausend Jahre später den Klang epischer Schlachten inszenieren würde, auf dass Zuschauer in aller Herren Länder ihrer teilhaftig werden. Apollon, Gott des Lichtes zog schmollend vondannen.

Kunstfertige Handwerker zogen einen Graben und füllten ihn mit Wasser. Dies war Lethe, der Fluss des Vergessens, welcher vor Hypnos Heimstatt fließt. Roter Mohn, leuchtend wie die aufgehende Sonne, vollendete das Bild.

Der große Dramaticos besah's und schüttelte sein Haupt. „Was macht ihr mit diesen Kissen? Bringet des Bett des Hypnos! Und setzet die Träume vor jenes! Für alles muss man selbigst sorgen!“

Des Spieles erster Aufzug

„Es ist so dunkel, es ist so still, so dunkel und still ist's, weil ich's so will. Schlafet nun ein und seid ihr nicht willig, dann helfe ich nach, mein Schlafmohn ist billig.“ So summte der sanfte Hypnos, Gott des Schlafes, nackt liegend am Flusse Lethe. Ein Bein hob er voll Anmut in die Höhe, zwischen seinen Zehen stak ein Mohnblümlein, welches wie ein Fähnchen im sanften Winde wehte. Halb hing seine rechte Hand in der Lethe Wasser. Nur so, dünkte es Hypnos, könne ein Schlafgott seinem Werke nachgehen. Nur so und auf keine anderes Weise.

Doch sehet! Ein Schmerz durchzucket ihn! Drum rief er in die Unterwelten: „Aua! Was soll das? Aua, autsch! Wer war das? Wer hat mein Haar zerknautscht?“

Dicke Tropfe kühlen Nasses fielen herab, begleitet von Grollen und hellem Blitz.

„Hallo? Geht's noch? Regen in der Unterwelt? Das ist, was gar nicht mir gefällt. Dicke Tropfen auf zarter Gotteshaut – darüber bin ich nicht erbaut. Im Schlepptau Gewitter mit Donner und Blitz. Das ist doch wohl 'n schlechter Witz! Blitze am Himmel und Feuerschau? Silvester ist's nicht, ich weiß es genau!“

„Nein, ich bin es! Der Große Zeus! Der Göttervater, wie jeder weiß, oder wenigstens jeder wissen sollte, der erblicket meine Donnerwolke!“ Also spach der Herr des Olymp.

Es rappelte sich der Schlafgott auf und rief: „Ja, haben wir denn die Erlaubnis, abzubrennen ein Feuerwerk an Stätten, die schützenswert sind zu nennen?“

Es warf sich voll Zorn Zeus auf den Gott des Schlafes. Erst stieß er sein Haupt zwischen die Schmetterlingsflügel des Schlafbringers, dann klammerte sich des Göttervaters Hand wie eine Klaue zwischen des Hypnos Beine. Die andere Hand ergriff des Schlafgottes Hals und dieser ward über des olympischen Herrschers Haupt gehoben. Doch bedachte Zeus nicht, wie viel Hypnos wohl wog und so fielen die Götter platschend in der Lethe Wasser.

Der Gott des Schlafes verdrehte den Blick voll Verzückung, denn eine Hand zwischen den Beinen mit einem kräftigen Rucke in die Höh' gerissen zu werden, wirkt zuweilen lustvoll auf einen Gott.

Es donnerte des Zeus Stimme durch den Hades: „Furchtbar wird meine Rache sein. Denn durch Dein Zutun schlief ich ein und Poseidon pfutschte in meinen Krieg! So brachtest Du Troja um den Sieg. Du bist ein Nichts und ich der Gott! Das dies anders nicht ist, bemerkst Du ganz flott.“

Im Grollen des Donners, beim Zucken von Blitzen zwei Götter nackt im Wasser spritzten ...

Wild ruderte der Gott des Schlafes mit den Armen, während Göttervater Zeus versuchte, ihn unter das Wasser zu drücken.

„Ungern widerspreche ich Dir, oh großer Zeus, doch sage mir ...“, rief Hypnos, doch war der Augenblick nicht von der Gestalt, die einen geistesreichen Austausch von Worten möglich machte.

„Du elender Wicht, sei still und schweig! Dass Dein Widerspruch falsch ist, zeig' ich Dir gleich!“, so wetterte Zeus wider seinen Rivalen zum Zweck der Drohung mit Höllenqualen.

Hypnos ward beleidigt von des Zeus grober Sprache. „Du meine Güte, dann eben nicht! Gute Nacht und träum' süß, Du grober Wicht!“

So sprach Hypnos und Zeus entschlief. Rettung war es in letztem Augenblicke, denn das Ringen im freien Stile gehörte nicht zu den körperlichen Betätigungen, denen der Gott des Schlafes zu frönen pflegte. Den Gepflogenheiten eines olympischen Wettstreites folgend, hätte dies Verhalten dazu geführt, dass der Gott des Schlafes vom weiteren Streite ausgeschlossen würde, doch war dies die Unterwelt und nicht die Turnstätte des örtlichen Ringerbereines von Castrop Rauxel oder Bottrop.

„So, mein kleiner, frecher Zeus! Dass ich mächt'ger bin, ein jeder weiß. Noch einmal döppen mit dem Kopfe und Dich dann rauszieh'n an Deinem Schopfe. Trink von des Vergessens Wasser einen großen Schluck. Rücken klopfen, Bäuerchen, doch Obacht geben, falls er spuckt.“

Stöhend zog und zerrte Hypnos den großen Herrscher des Olymp an das Gestade. Gar erschöpft war er von Ringen im Wasser, kämpfte doch Zeus in einer ganz anderen Gewichtsklasse. Gemein fand dies Hypnos, gemein und hinterhältig.

Erneut spendete das Publikum Applaus mit Tosen, welches selbst dem Atlasse zu Ohren kam. Es verbeugten sich erneut die Akteure und dankend winkte Dramaticos, der da mit einem Auge auch den Bühnenbau zu beaufsichtigen hatte. „Kann endlich jemand die tausend Träume holen für den zweiten Aufzug?“, rief er laut in des Spieles Stätte. „Stets Ärger machen die Statisten. Holt mir Könner, keine Laien! Ich KANN SO NICHT ARBEITEN!“

„Doch was“, rief der Dichter die drei Richter an, ihre Meinung kundzutun, „denkt Ihr, verehrte Dame, verehrte Herren? Sind diese zwei Herren geeignet, die Rollen des Zeus und des Gottes des Schlafs darzubieten?“

Wieder sprach Ares zuerst: „Nee, echt! Was soll man dazu jetzt sagen? Du Hypnos-Typ, was sollte das? Erst wackelst Du mit den Beinchen wie ein liebeskranker Gockel auf der Suche nach 'nem Bräutigam und dann gibst Du vor, den groooßen Zeus zu plätten? Hältst Du das für glaubwürdig? Was bei Hades sollte das?“

„Dramaticos der Barde schrieb die Geschichte so auf das Pergament, oh Gott des Krieges, wenngleich ich mutmaße, er meinte es anders“, sprach darauf der Mime. Loki der Listenreiche war's, Odins Bruder durch das Blut. Stets saß der Schalk in seinem Nacken und das Spiel ein wenig nach seinem Wunsche zu gestalten, bewarb er sich auf des Hypnos Figur. „Auch dünkt es mich, es könnte Eurem Vater wohl gefallen, stünde sein Gegenspieler in einem seltsamen Lichte.“

„Pah!“, rief der Kriegsgott. „Du sollst hier spielen und Dich nicht beim Boss einschleimen! Das war Mist! Das könnte meine Mama ja besser spielen! Nichts für ungut, Mama.“

Zeus Gattin blickte ihrem Sohne mit strengem Blicke entgegen.

„Also ich fand es ziemlich knuffig“, tat Aphrodite ihre Meinung kund, bevor des Göttervaters Sohn den Familienfrieden dem Tartaros gleichmachte. „Mir gefiel besonders das Spiel mit der kleinen Rose.“

„Verzeiht, Gnädigste“, widersprach der listenreiche Gott aus dem Norden, „es war eine Mohnblume.“

„Oh!“, sprach mit zauderndem Zögern die staunend kichernde Aphrodite. „Aber sie war rot. Was meint Ihr wohl, Hönir? Haltet ihr die beiden Herren geeignet, den Herrn des Olymp und den Gott des Schlafes zu geben?“

„Nun, ich bin nicht sicher“, sprach der Bruder Odins in all seiner Weisheit. „Ich glaube, beide könnten falsch liegen. Vielleicht aber auch ...“

Des Spieles zweiter Aufzug

Stille, Frieden und Dunkelheit lagen über den unterweltlich Sphären. Sanft wiegte sich roter Mohn im leisen Winde. Zeus der Göttervater, Herrscher über den Olymp, Bruder des Hades und des Poseidon, der Herren über Unterwelt und Meer, lag in seligem Schlummer auf der Wiese am Ufer des Flusses Lethe und trocknete umtanzt von 996 Träumen. Zwei der fehlenden Träume lagen mit einem Fieber danieder, ein dritter schenkte der schönen Persephone, der Gattin des Hades, eine schöne Nacht. Doch ohne Entschuldigung blieb der letzte fern und niemand kannte seinen Verbleib.

Neben dem obersten der Götter Hellas rekelte sich der Gott des Schlafes. Anmutig hob er ein Bein in die Höhe, ein Mohnblümlein stak zwischen seinen Zehen, wie ein Fähnlein im Winde wehend. Eis, eingewickelt in ein wollen Tuch lag, wo des Zeus Hand ihn hatt' gepackt. Jungfrauen drehten sich im Reigen, Schmetterlinge umschwirrten die Götter, sie mit ihren Flügeln trocknend.

Der Götter König erwachte aus dem Traum der Vergessenheit und blickte in des Schlafgottes wissend lächelndes Gesicht.

„Ich darf jetzt keinen Fehler tun. Wir sind hier nur, um auszuruh'n“, sprach der Olympier Höchster leise, bevor er der Jungfrauen Reigen wahrnahm. Für Sekunden folgte Zeus der Jungfern Tanze, zufriedenen Lächelns raunte er endlich: „Jungfrau'n sind die bestimmt nicht mehr. Bin schließlich Zeus, der Götter Herr.“

Alsdann erblicket der Göttervater, dass der Schlafbringer dankbar wissend lächelte, lüstern, zufrieden. Doch verfehlte dies Lächeln nicht das Ziel. Es brauchte keine Worte, nur das Lächeln des sanftmütigen Hypnos. Ja, auf diese Weise gewinnt man Kriege, nicht durch Gewalt und Kampf.

Einer Mohnblume gleich erglühte das Gesicht des Zeus. „Nun denn“, sprach er, „ich geh' dann Heim. Muss ein harter Tag gewesen sein. Mein Kopf schmerzt über alles Maß und alles, was geschah vergaß ich von der ersten Sekunde bis hin zur allerletzten Stunde. Kommest Du zum nächsten Götter-Thing? Zu diskutieren ist so manches Ding. Der Beitrag für des Götterclubs Mitglieder soll erhöhet werden – hmmm, mal wieder.“

Somit ging der Zeus denn ab und verschwand in einem gleißenden Blitze. Hypnos wiederum sah lächelnd dem Göttervater hinterher und sprach: „So so, nur nicht beim Thema bleiben. Die peinlich' Fragen nur vermeiden! Hat schön das Eistuch ignoriert, das mir das Gemächt erfriert. Fragt nicht, warum die Jungfrau'n tanzen, zeigt unbeeindruckt sich vom Ganzen. Legt einen Abgang nur zutage mit Blitzen und mit Donnerschlage.

Wer ist der stärkste? Wer hat das Sagen? Wer kann zu kämpfen gegen jeden wagen? Sollt's Hades, Zeus oder Poseidon sein? Ein jeder weiß: Die Antwort ist nein. Es ist der sanfte Schlafesgott, der selbst Achilles zu Boden schickt so flott, dass dieser gar nicht weiß, was war, nur dass er schlief gar wunderbar. Diesem Gott ein jeder huldigt und manch Unglück auch mit ihm entschuldigt. Schlafen müssen selbst die Götter, ob nun der Liebe, des Kriegs oder fürs Wetter.

Eins noch: Nichts ist wie's scheint. Dort wo Zeus was Schlimmes meint, müsste er doch einfach fragen, warum wir hier am Ufer lagen mit Eis, Jungfrau'n und Lingen, die schmettern. Doch zog er's vor, nach Haus zu brettern. Götter sind nur Menschen eben. Das sag' ich schon mein ganzes Leben.“

Und der Vorhang fiel, die Schauspieler verbeugten sich. Das Publikum schenkte rasenden, tosenden Applaus. Dramaticos, der helle Barde, verbeugte sich mit stolzgeschwellter Brust vor den Applaudierenden.

Gerade wollte der Dichter die Richter befragen, welch' Meinung sie wohl hätten, als die schöne, die wunderschöne Aphrodite aufsprang und rief: „Oh, wie wunderschön! Wie wunderwunderschön! So voll Gefühl und so voll Humor! Und so lustig! Ja, ihr habt so wundervoll gespielt!“

Dramaticos hielt vor Rührung die Hand vor den Mund und fragte: „Was nun aber sagt Hönir, der Große?“

Der Bruder Odins zögerte. „Ich bin nicht sicher“, war seine Antwort. Er sah zum Spieler, der den Zeus vorstellte. „Könntest Du vielleicht noch einmal den zweiten Absatz vortragen?“

„Ja ... äh ... gewiss ... natürlich ...“, räusperte der Kandidat der Wahl sich und hob theatralisch die Hand in die Höh'. „DIESEN ... VERDAMM ... TEN KERL SCHNA ... SCHNNAPPeICH ... MIR. FREVLER! SEI ... NETATER ... FÜLLTMI ... CHMIT DER RACH ... EGIER!“

„Nun ja ...“, sprach der große Hönir mit Stirnesrunzeln, doch kam er nicht zum Ende seiner Rede.

Denn der Kriegsgott unterbrach ihn: „Da gibt's nichts zu sagen. Grundvoraussetzung fürs Theater ist eine grundlegende mathematische Begabung. Man muss zählen können. Du solltest den zweiten, nicht den ersten Absatz vortragen. Dagegen sind die Supertalente ja wahre Adam Rieses! Und der wird erst in fünftausend Jahren geboren! Und ehrlich Deine Betonung! Grauenvoll! Zeus ist der Toppobermotz im Olümp ...“

„Olymp“, warf die schöne und doch kluge Aphrodite ein.

Ares, des großen Zeus' Sohn, sprach weiter, ganz als wäre seines Vaters Tante nur eine dumme Maid, die sprach, um sich sprechen zu hören: „Dann eben da! Zeus würde nie so dämlich quatschen! Der würde nie sagen DIESEN ... VERDAMM ... TEN KERL“ Er übertrieb des Mimen Rede noch ein wenig. „Zeus würde sagen: DIE ..... SENVER ..... DAMMTENKERL ... Wenn Du Zeus spielen willst, nein, wenn Du überhaupt spielen willst ... Du könntest nicht mal eine textlose Statistenrolle geradeaussprechen. Du bist eine absolute ...“

Da grollte Donner durch den Olymp und Blitze lösten sich aus der Hand des Akteures, dem Ares die Haare versengend. Finsteren Blickes sprach der Mime in das Gesicht des Kriegsgottes: „Ich werde wohl selbst am besten wissen, wie ich rede! Statistenrolle? Warte es ab! Du bekommst eine Statistenrolle! Du darfst bei Hannibals Feldzug gegen Rom danebenstehen und zusehen! Deinen Part wird Hypnos übernehmen! Und jetzt ab auf Dein Zimmer!“ Das Ohr seines Sohnes ergriff der Göttervater, zog es in die Länge und Vater und Sohn verschwanden im Scheine eines Blitzes.

Hönir der Weise seinerseits blickte der schönen Aphrodite ins Gesicht und sprach: „Sag ich ja. Das sollen andere entscheiden. Werde mir doch nicht den Hintern verblitzen lassen.“

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