DIE GÖTTER

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Und ich selbst?

Ich erzählte so viel über die anderen, dass ich glaube, sie genug in Verlegenheit gebracht zu haben. Der Gerechtigkeit halber muss ich euch auch ein paar Geheimnisse über mich verraten.

Aber was könnte ich euch erzählen, das ihr nicht schon wisst? Eine Menge? Weil ihr im Grunde nichts wisst? Eigentlich ist das Absicht. Das Problem mit Ruhm und Prominenz ist nämlich, dass man keine Ruhe mehr findet.

Doch wirklich! Schaut euch nur unter euch selbst um! Welches Hollywood-Sternchen wird denn nicht von aufdringlichen Fotografen verfolgt? Hat schon einmal jemand als Bürgermeister versucht, ein Fischbrötchen zu kaufen? Richtig! Er verbrennt mehr Kalorien beim Hände schütteln, als er mit dem Fischbrötchen zu sich nimmt. Und wehe, die Gattin des Erfolgsmusikers wird beim Abendessen mit dem Mann gesehen, der die große Geburtstagsüberraschung für den geliebten Ehemann organisieren soll! Dann ist die Ehe sofort am Ende. Ich wollte so etwas nie, wollte Ruhe und Frieden nicht nur für mich sondern auch für die Familie.

Schaut euch die alten Griechen an! Jeder weiß über die Probleme in der Ehe von Hera und Zeus bescheid. Niemand hingegen hat sich je dafür interessiert, dass die beiden inzwischen eine harmonische Beziehung führen, was vermutlich damit zusammenhängt, dass Zeus keine Bastarde mehr von seinen Eskapaden mitbringt und Hera auch keine Angst mehr hat, mit anderen zu flirten. Sie… Nun, jedem sei sein persönliches Glück beschieden.

Ich wollte nie, dass meine Familie im Licht der Öffentlichkeit steht. Deshalb bin ich immer noch Single. Dass Junior sein Leben so offen leben musste, tut mir heute noch leid.

Und nicht ohne Grund steht geschrieben: „Du sollst Dir kein Bildnis machen…“

Bestimmt habt ihr euch irgendwann einmal gefragt, warum ihr euch kein Bildnis machen sollt. Wüsstet ihr, wie ich aussehe, könnte ich keinen Fuß mehr auf die Erde setzen. Ich will auf Schalke eine Currywurst essen und der Mann an der Imbissbude ruft: „Oh mein Gott!“ Er meinte zwar die Kraniche, die zu Hunderten hinter mir über den Himmel zogen, die Augen der Menschen ruhen aber trotzdem auf mir und ich verpasse das Spiel, weil ich mit Autogrammwünschen beschäftigt bin. Ist nicht meins.

Überhaupt: Wie stellt ihr euch mich eigentlich vor?

Wenn ich all die Bildnisse sehe, die in der Renaissance geschaffen wurden, muss ich laut lachen. Die Künstler hatten nicht den Hauch einer Ahnung, wie ich wirklich bin. Weiße Haare? Rauschebart und ein Laken um den Leib? Pah!

Ich gebe zu, dass ich während der Antike auch mal Toga trug. Besonders zu Partys auf dem Olymp. Den Rauschebart habe ich einmal ausprobiert, sah aber aus wie mein eigener Urgroßvater. Nicht, dass ich einen hätte. Manche Götter werden geboren, manche sind einfach da. Ich gehöre zur letzteren Sorte.

Soll ich euch wirklich verraten, wie ich aussehe? Ihr werdet es ohnehin nicht glauben, warum also nicht?

Wenn ich morgens ins Büro gehe, trage ich natürlich einen Anzug. Anthrazitene Baumwolle, zweireihig. Ein hellblaues Hemd und eine regenbogenfarbene Krawatte. Man muss als Chef schon ein bisschen Eindruck hinterlassen. Am besten den richtigen. Deshalb der Regenbogenschlips. Etwas Farbe kommt immer gut und die Message kommt auch an.

Im Regelfall komme ich dergestalt nicht weit über die Lobby hinaus. Schon im Fahrstuhl – nicht dass ein Fahrstuhl nötig wäre, aber er macht was her – hängt das Sakko lässig über meiner Schulter und der Binder sitzt locker. Wir pflegen überhaupt keinen allzu strengen Ton im Himmel. Klar, wenn ich etwas sage, wird das auch gemacht. Aber wir lachen viel und ich klopfe immer auf die eine oder andere Schulter.

Und nach Feierabend bin ich auch ganz schnell aus der förmlichen Kleidung raus, liege in Bermudas auf der Veranda und in Jogginghose auf dem Sofa. Am liebste spaziere ich aber in Jeans, T-Shirt, schwarzer Lederjacke und mit einer coolen Sonnenbrille durch die Gegend. Manchmal lasse ich mir hierfür auch schnell einen Dreitagebart wachsen.

Das ist übrigens der große Unterschied zum alten Lu. Er kommt im Anzug zur Arbeit, er zieht den Anzug zum Feierabend nicht aus. Außer um in einen anderen Anzug zu schlüpfen. Er hat sogar einen Schlaf-Smoking. Und er trägt am liebsten weiß. Er will damit betonen, dass er eigentlich vollkommen unschuldig ist. Er ist tatsächlich vor allem missverstanden.

So missverstanden wie viele von uns. Der Michel zum Beispiel. Michael. Der Erzengel? Das hat jetzt aber eine Weile gedauert. Er wird immer als so unheimlich ernst und grimmig beschrieben, wie er mit seinem Flammenschwert dasteht, das Böse zu bekämpfen. Vollkommener Unsinn. Er ist schon ein eher fröhlicher Bursche. Das einzige, das er ernstnimmt, ist sein Hobby. Er bäckt nämlich für sein Leben gern und er macht das gut. Mehr als gut. Warum dann das Flammenschwert? War seine Idee, seine Erfindung. Schütte den Teig in die Form (Michael bäckt große Kuchen) und schneide ihn mit der feurigen Klinge. Der Kuchen wird gleichzeitig gebacken und geschnitten. Praktisch, oder?

Oder Junior. Auch missverstanden, aber in diesem Fall war es nützlich. Er sollte schließlich meine Message unters Volk bringen und das Internet gab es noch nicht. Also vollbrachte er ein paar Wunder: Er tat etwas roten Traubensirup (und einen Schuss Wodka) in Wasser. Es organisierte einen Cateringservice, um fünftausend Hungrige satt zu bekommen. Er vollführte die erste Herz-Lungen-Reanimation. Lazarus – ihr habt von ihm gehört? – litt an einer heftigen Schlafapnoe. Irgendwann setzte sein Atem aus und kam nicht wieder. Zum Glück war Junior da. Mund-zu-Mund-Beatmung, Herzdruckmassage und der gute Lazarus erwachte. Dem ahnungslosen Volk kamen diese Dinge natürlich wie Wunder vor. Deshalb hörte man meinem Filius dann auch zu.

Oder ich selbst. Missverstanden. „Du sollst keinen anderen Gott neben mir haben!“ Habe ich gesagt, das gebe ich zu. Und was macht ihr daraus? „Es gibt nur einen wahren Gott!“ So ein Quatsch! Aber genau deshalb erzähle ich euch ja diese Geschichten.

Natürlich gibt es andere Götter. Und ich sagte niemals, niemand dürfe sie anbeten. Aber ihr sollt euch entscheiden und nicht immer euer Fähnchen gerade dahin schwenken, wo es euren Begierden am besten passt.

Oder die Sache mit meinem Namen, den ihr nicht missbrauchen sollt. Vollkommen missverstanden. Ich sprach nie von meinem Namen. Ich sagte, ihr sollt mein Wort nicht missbrauchen und das habt ihr oft genug gemacht. Ich sage nur: die Kreuzzüge. Ihr zogt in meinem Namen in den Krieg gegen eure Brüder, die eine andere Sprache sprechen und mir einen Namen in ihrer Sprache gaben. Habe ich euch jemals zu einem solchen Glaubenskrieg aufgefordert? Nein, habe ich nicht. Nicht zu einem Kreuzzug, nicht zu einem Dschihad.

Aber das war schon immer ein Problem mit der klerikalen Obrigkeit. Der alte Zeus könnte euch da Geschichten erzählen, sage ich euch. Oder Ares. Obwohl es dem immer Spaß gemacht hatte. Er war ja auch nie die Ursache für eure kleinlichen Streitereien, er stand nur am Spielfeldrand und sorgte für einen geordneten Ablauf. War sein Job als Kriegsgott.

Aber gut, ich habe genug den Zeigefinger erhoben. Dafür sind wir nicht hier zusammengekommen. Ich wollte euch Geschichten erzählen, die sonst keiner weiß. Ich hoffe, ihr nehmt es mir nicht übel.

Und ich selbst? Über mich selbst habe ich wieder nicht viel erzählt. Und das ist auch gut so. Solange man geheimnisvoll und anonym bleibt, bleibt man interessant. Und man kann in Ruhe ein Bier trinken und zuschauen, wie Schalke die Bayern schlägt.

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