DIE GÖTTER

Mordreds Tales Mordreds Tales

Oh! DIN!

Manche Götter sind einfach da. Andere Götter werden geboren und wachsen auf. Im Prinzip verläuft die göttliche Fortpflanzung auch ähnlich wie die der Menschen. Allerdings erben göttliche Nachkommen nicht immer alle Eigenschaften ihrer Eltern, gerade so, als wüssten sie schon im Mutterleib: "Hey! Ich bin ein Gott! Ich bin mächtig und kann machen, was ich will, und sein, wie ich will!" Das ist meine einzige Erklärung für Thors Narreteien, denn sein Vater Odin, der Allvater und König Asgards, hat die Weisheit für sich gepachtet. Zwar bezahlte er dafür mit einem Auge, aber er zahlte den Preis bereitwillig. "Was soll's?", dachte er. "Mit dem zweiten sieht man besser!"

Es mag euch jetzt wenig weise erscheinen, ein Auge für ein paar kluge Gedanken herzugeben. Aber den Preis der Weisheit zahlt gott natürlich, BEVOR er selbige erhält.

Obwohl... Vielleicht hat Thor seine Torheiten ja doch ein bisschen von Papa. Wenn ich so darüber nachdenke...

Ja, Odin Allvater tat tatsächlich einige Dinge, die mir nicht auf Anhieb verständlich waren. Ich schob es immer auf mein jugendliches Alter. Odin war schließlich schon länger da, musste also erfahrener sein als ich. Er würde schon Recht haben.

Damals, als ich noch ein Junggott war, zog ich durch die Welt. Ja, ich war ein ganz Wilder, immer auf der Suche nach noch mehr Wissen und Weisheit, wollte Länder und Leute kennenlernen. Wollte die Menschen verstehen, die Dinge, die wir geschaffen hatten aus ihrer Perspektive bestaunen. Ich war und bin ein neugieriger Gott, aufgeschlossen, interessiert und nebenbei keineswegs so konservativ, wie ich immer dargestellt werde. Ich will Liebe und ich propagierte sie schon immer. Auch Junior brachte diese Botschaft unter euch Menschen. Leider wollen viele von euch sie nicht wirklich hören. Hey, Leute! Wenn sich Männer oder Frauen untereinander lieben, ist das OK! Es geht um die Liebe, nicht um Normen! Die Liebe sollte die einzige Norm sein!

Klasse Überleitung, merke ich gerade. Warum? Wartet doch einfach ab, was ich euch erzählen will! Hetzt mich nicht! Oder soll ich mir graues Haar und einen langen Bart wachsen lassen, damit ihr die Geduld aufbringt, die sonst ein vom Alter weiser Mensch in seinen Erzählungen von euch erfährt?

Ich zog also in jugendlichem Überschwange durch die Welt wie ein Handwerksgeselle auf seiner Walz. Ich besuchte Griechenland und wirkte in einigen klassischen Dramen als Deus ex machina mit. Ich besuchte die Stätte, an der einst das glorreiche Rom entstehen würde, und genoss die Landschaft. Damals war dort alles ziemlich grün. Ich kletterte über die Alpen und fragte mich, ob der olle Hannibal wirklich mit seinen Elefanten diesen Weg nehmen wollen wird.

Irgendwann nach ein paar Jahrhunderten Wanderschaft kam ich in ein Dorf irgendwo zwischen dem Fluvius Rhenus und dem Fluvius Alvis. Es war damals nicht einfach, den Namen eines Flusses auszusprechen, denn es war inzwischen die Hochzeit des Römischen Reiches.

Ich war also irgendwo zwischen Rhein und Elbe und ich hatte Durst und Hunger. Ein Gott, der sich in menschlicher Gestalt auf Erden bewegt, ist nämlich denselben Nöten und Notwendigkeiten ausgesetzt wie ein sterblicher Mensch, was nebenbei die Umtriebigkeit des alten Zeus erklärt. Um meine Bedürfnisse zu stillen, besuchte ich ein Gasthaus, doch kaum war ich eingetreten, wusste ich, mein Besuch würde über eine Mahlzeit hinausgehen.

"WIRT!", brüllte jemand und ich sah einen breitschultrigen Mann mit einer Augenklappe. Ich hielt ihn zuerst für einen Piraten, doch dann fiel mir ein, dass ich zu weit im Landesinneren war. Außerdem bemerkte ich zwei schwarz gekleidete Männer an seiner Seite. Ihre Gesichter waren ausdruckslos, ihre Nasen lang und spitz und ihre Köpfe schmückten seltsamen spitze Kappen. Friedrich der Große sollte sich später dieser Kopfbedeckungen erinnern und sie zur Mode machen. Ich glaube, man nennt sie Dreispitz. Warum die Männer diese für die damalige Zeit seltsamen Hüte getragen hatten, wussten sie selbst nicht.

Aber ich kannte sie. Ich erkannte die beiden an den wachen, neugierigen Augen, mit denen sie mich musterten: Hugin und Munin, zumeist als Raben unterwegs. Da wurde mir klar, wer der Einäugige war. Es konnte nur Odin Allvater sein.

Ich nickte der Gruppe erfreut zu, die Raben in Menschengestalt nickten zurück, Odin beachtete mich nicht. Er rief erneut: "WIRT!!!"

Der Wirt lief schwerfällig zu Odins Tisch.

"Wie kann ich Euch zu Diensten sein, Herr?"

Der Einäugige fixierte den Wirt und hielt ihm dann sein Trinkhorn hin.

"Es der Met nicht gut, Herr?"

"Weiß ich nicht", war die ruhige, ja sogar höfliche Antwort. "Ich habe ihn noch nicht gekostet."

"Was ist dann?", beeilte sich der Wirt, seinen Gast zu fragen, ohne ihn ausreden zu lassen.

"Das Horn ist nicht recht gefüllt", gab der Allvater Auskunft. "Es sind..."

"Verzeiht, Herr", unterbrach der Wirt seinen Gast peinlich berührt. "Es lag nicht in meiner Absicht, Euch zu wenig einzuschenken. Ich lasse Euch sofort ein neues Horn bringen."

Odin blickte seinen Gastgeber verdutzt an. Hugin und Munin folgten seinem Beispiel, sahen zu mir und zuckten ahnungslos mit den Schultern. Dann krümmte Odin seinen Zeigefinger und bedeutete dem Wirt, näher zu kommen.

"Es ist nicht zu wenig", murmelte der Gott dem Menschen zu, "es ist ein halber Fingerbreit zu viel. Der Füllstand des Horns entspricht nicht der Norm und Ihr betrügt Euch selbst, mein lieber Wirt. Wenn es Absicht war, mir, Odin Allvater, zu Gefallen zu sein, danke ich Euch. Doch wenn nicht, kontrolliert Eure Trinkhörner und legt bei Eurem Lieferanten Beschwerde ein!"

Ja, so war Odin. Alles musste seinen rechten Platz und Weg in der Welt haben. Es gab genug Streit in der Welt um irdische Güter, um Land, um Geld, um was ihr sonst noch so begehrt. Odin fand, es wäre weise, Regeln für alles zu schaffen. Die Germanen waren wie die Nordmänner ja ein durchaus streitfreudiges Volk.

Der Allvater ließ auch zu keiner Zeit ab von seinem Normierungswillen. Auch später, als die Menschen in seiner Einflusssphäre schon gar nicht mehr ihm folgten, mischte er sich unter das Volk und half, Regelwerke zu erschaffen, wie die Dinge beschaffen zu sein hätten. Besonders unter den Nachfahren der Germanen, denn sie hatten von ihm seinen Sinn für Ordnung geerbt.

Eher unabsichtlich half er bei der Namensgebung für die Regeln. Der Allvater war zugegen, als eines Tages ein Institut gegründet werden sollte, das den Deutschen ihre Normen aufstelle.

"Wie sollen wir das Institut nennen?", fragte man sich und fuhr an den Asenkönig gewandt fort: "Haben Sie eine Idee Herr...?"

"Odin", stellte sich der Allvater vor.

"Oh! DIN! Das klingt gut!"

Der Rest... ist Geschichte.

weiter
zurück